Wer heute mit seiner Wohnung prahlen will, der sagte bisher oft: „der Park ist nah“, oder „der Balkon hat den halben Tag Sonne“. In den letzten Jahren aber hört man diesen Satz immer öfter: „Ich hab noch ’nen alten Mietvertrag.“
Spekulation auf dem Immobilienmarkt ist ein Problem. In beliebten Vierteln und Großstädten dreht sich die Preisschraube seit einigen Jahren derartig schnell, dass immer mehr Menschen dort nicht mehr mithalten können.
Erst die Fragen, dann das Haus
Ein eigenes Haus kaufen, mitten in der Stadt, gemeinsam mit anderen – und sich so der Preisschraube entziehen. Das ist der Traum vom Hausprojekt, den viele haben. Doch das hinzukriegen, ist gar nicht so einfach. Wer macht mit? Wie organisiert man sich? Wo kommt das Geld her? Wer berät einem beim Bauen? Und wie verhindert man, dass das eigene Haus nach getaner Arbeit wieder Spekulationsobjekt wird?
Diese und zahllose andere Fragen stellen sich. Antworten gibt es von einem ziemlich einzigartigen Konstrukt: dem Mietshäuser-Syndikat. Was das ist und wie es funktioniert, erklären wir heute in den „Guten Nachrichten“ – und wir haben ein Hausprojekt besucht, das sich dem Syndikat angeschlossen hat: die „Kunterbunte 19„.
Das Gespräch zum Mitlesen
Mietshäuser-Syndikat. Das klingt irgendwie nach Verschwörung und Untergrund-Aktivismus?
Das ist gar nicht so abwegig, wie es klingt. Man könnte sagen: die sind Anti-Spekulanten. Ihr Ziel ist für viele schon ein bisschen radikal: billigen Wohnraum schaffen, dauerhaft, und das Haus denen geben, die es bewohnen. Und wenn man so will, verstößt das Mietshäuser-Syndikat vom Grundsatz her gegen alle Marktgesetze.
Man kann zwar auch so zusammen ein Haus kaufen – als Genossenschaft zum Beispiel, oder über einen Erbpachtvertrag. Aber man hat da verschiedene Probleme. Kleine Wohnbau-Genossenschaften zum Beispiel zerfallen sehr oft schon in der zweiten Generation wieder: die Kinder unterliegen da oft der Versuchung, zu verkaufen. Bei anderen Konstrukten hat man oft das Problem: was machen, wenn jemand austreten will? Oder seinen Anteil verkaufen? Generell ist also immer die Frage: Wie schafft man es, ein Haus zu kaufen, zu sanieren, herzurichten – und danach eben zu verhindern, dass es für irgendjemanden der Beteiligten zum Spekulationsobjekt wird?
Und wie machen die beim Mietshäuser-Syndikat das?
Die setzen auf ein Modell, wo es eine GmbH gibt, und einen Verein. Also hinter jedem Hausprojekt gibt es die, die das Haus kaufen wollen. Und die haben zusammen einen Hausverein – das sind alle Menschen, die in diesem Haus wohnen oder Läden nutzen. Und es gibt diese GmbH. Die ist rechtlich für alles da, was nach außen geht: Mietverträge, Kredite und so. Diese GmbH ist also nur dafür da, das Haus zu besitzen und die Verträge zu machen.
Aber wieso wird damit verhindert, dass das Haus wieder verkauft werden kann?
Klar, wäre man als Hausgruppe einfach nur ein Verein oder eine GmbH, könnte jeder jederzeit querschlagen. Aber diese GmbH, die das Haus besitzt, hat nur zwei Gesellschafter. Den Verein der Hausbewohner – darüber nehmen die Einfluss. Und das Mietshäuser-Syndikat, also die bundesweite Struktur. Die ist nur drin, um ein Vetorecht ausüben zu können. Also: einfach einen Beschluss im Hausverein machen, zu verkaufen, wenn das Haus viel Wert ist, das geht dann nicht.
Das heißt also, ich gebe als Hausgruppe einen Teil des Einfluss ab – an das Mietshäuser-Syndikat. Was bringt das denn, was hab ich davon?
Einerseits bringt es allen Beteiligten Sicherheit. Ich kann dir zwar hier und heute versprechen: ja, ich werde nie-nie-nie verkaufen und aussteigen. Aber wer weiß, was ich in 5 Jahren denke. Also, diese Unsicherheit ist dann weg. Verkaufen geht nur, wenn das Syndikat zustimmt.
Zum anderen hat man Zugriff auf ein enormes Netzwerk an Wissen. Wenn man so ein altes Haus kauft, stellen sich ja Dutzende Fragen. Wie baut man eine Heizung an? Wie renoviert man einen Dachstuhl? Was will der Denkmalschutz von mir, oder andere Ämter? All diese Fragen haben die anderen Projekte, die im Syndikat Mitglied sind, ja schon durch. Und können mit viel Erfahrung und Know-How helfen.
Geld gibt’s aber nicht direkt aus dem Syndikat, oder?
Indirekt. Innerhalb des Syndikats gibt’s einen Solidarfonds. Es ist so, dass man als Hausprojekt am Anfang natürlich hohe Zinsen zahlt. Die sinken ja aber, und irgendwann sind die Kredite auch getilgt. Und das freiwerdende Geld geht dann zum Teil in diesen Fonds. Der unterstützt wiederum neue Wohngruppen, die wiederum irgendwann in ihn einzahlen – ein Schneeballeffekt quasi.
Und dann ist es noch so, dass man innerhalb des Syndikats auch Darlehensgeber finden kann. Das sind oft Leute, die ihr Projekt schon abgezahlt haben, oder kurz davor sind. Und die leihen dann eben neuen Projekten Geld, von Privat quasi.
Wie gut oder schlecht klappt das Ganze denn? Ist dieses Mietshäuser-Syndikat eine Idee, die sich bewährt hat – oder ist die nur in der Theorie gut?
Man muss schon sagen, dass das Ganze zumindest den Zahlen nach ein Erfolgsmodell zu sein scheint – 91 Projekte in der ganzen Republik sind schon dabei, etliche warten drauf, dass die Mitgliederversammlung ihren Beitritt zustimmt.
„Gute Nachrichten“ werden präsentiert von der GLS Bank – der ersten sozial-ökologischen Universalbank der Welt.
„Gute Nachrichten“ – unter diesem Titel stellen wir jeden Mittwoch Projekte, Initiativen und Firmen vor, die etwas besser machen wollen. Arbeit verbessern, Wirtschaft und Moral in Einklang bringen, den Umweltschutz voranbringen, fair produzieren, nachhaltig wirtschaften oder kulturell bereichern.
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