Viele Hochschulabsolventen kennen das Problem nur allzu gut: Nach dem Ende ihres Studiums versuchen sie, eine Anstellung zu finden, die ihren Qualifikationen entspricht. Was sie finden, sind haufenweise Angebote für un- oder schlecht bezahlte Praktika.
Dabei stellen die Unternehmen, die diese Praktika ausschreiben, an Bewerber solch‘ hohe Ansprüche, dass es sich bei dem Praktikum eigentlich um eine feste Stelle handeln müsste.
Vor allem junge Geistes- und Sozialwissenschaftler beschleicht häufig der Verdacht, dass Unternehmen die Arbeitsmarktlage ausnutzen, um anspruchsvolle Stellen mit unbezahlten, aber hochqualifizierten Praktikanten zu besetzen. So ging es auch einem Berliner Uni-Absolventen, als er auf ein Stellenangebot stieß, das eigentlich wie für ihn gemacht war. Eigentlich.
Statt einer Bewerbung schickte er dann etwas anderes. Nadja Leoni Nolting hat ihn getroffen.
Der Beitrag zum Nachlesen
Als beim Personalchef einer Berliner Nichtregierungsorganisation diese Bewerbung auf dem Tisch landet, muss er sicherlich zweimal hinschauen. Nicht das Wort „Bewerbung“ steht darüber, sondern „Nicht-Bewerbung“. Und das Anschreiben beginnt mit den Zeilen:
Sehr geehrte Damen und Herren.
Hiermit bewerbe ich mich nicht auf die Praktikumsstelle für den Bereich „Projekte der Entwicklungszusammenarbeit und Öffentlichkeitsarbeit in Berlin. Ich kann mir die von Ihnen ausgeschriebene Stelle einfach nicht leisten. (Mario Schenk)
Es folgen drei professionell gestaltete Seiten, auf denen Mario Schenk, ein Absolvent der Lateinamerikanistik, erklärt, dass die Stelle sehr gut zu seinem Profil passe. Und dass er sie gerne angetreten hätte, wenn es ihm möglich gewesen wäre, von 250 Euro Aufwandsentschädigung pro Monat zu leben. Ausführlich rechnet Mario in seinem Anschreiben vor, dass eine solche Stelle nur für diejenigen in Frage käme, die sie entweder durch einen zweiten Job finanzierten oder aus reichem Elternhaus stammten.
Seinen Lebenslauf legt er ebenfalls bei, allerdings mit geschwärztem Inhalt. Seine Argumentation: Eine Arbeit, die so schlecht entlohnt wird, entwertet geradezu das Können des Arbeitnehmers. Entsprechend „entwertet“ er selbst seinen Lebenslauf, indem er den Inhalt schwarz markiert.
Und ich glaub‘, das I-Tüpfelchen war, dass es eigentlich so‘ ne NGO war, die sich für faire Löhne weltweit und in dem Projekt gerade auch für Lateinamerika, Guatemala einsetzt. Und das fand ich dann daneben. Also die Stelle, auf die ich mich beworben habe, das war ne 40-Stunden Woche, ein halbes Jahr, das war ne ganz normale, reguläre Arbeit. Das wär die Stelle gewesen, auf die ich hinstudiert habe, um mal in so einem Bereich dann auch meinen Erwerb zu haben und nicht, das noch zuzufinanzieren.
Bei der Agentur für Arbeit ist dieses Problem bekannt. Natürlich gibt es auch für Geistes- und Sozialwissenschaftler einen Arbeitsmarkt. Der aber ist wenig berechenbar. Und die Absolventen suchen vergleichsweise lange, um eine Anstellung zu finden, die ihrer Qualifikation entspricht.
Ingrid Arbeitlang vom Hochschulteam der Berliner Agentur für Arbeit weiß, dass dies für viele Absolventen eine harte Zeit des Wartens bedeutet:
Es gibt auch Studien, aus denen hervorgeht, dass tatsächlich auch Geisteswissenschaftler zu ungefähr 70% in qualifizierte Arbeit kommen, aber bevor die sich dann beruflich etabliert haben, können schon mal 3-5 Jahre vergehen. (Ingrid Arbeitlang)
Diese Zeit überbrücken viele mit Praktika. Das kann sinnvoll sein, denn Arbeitgeber stellen häufig nur Bewerber ein, die mindestens 2 Jahre Berufserfahrung mitbringen. Doch längst nicht alle Praktika vermitteln diese Berufspraxis.
Aus meiner Erfahrung ist es doch schon oft so, dass aus lauter Verzweiflung viele Absolventen fast jedes Praktikum nehmen. Und das ist, denke ich, nicht die richtige Strategie. Also, das fünfte Praktikum mit fünfmal der gleichen Arbeitsaufgabe entwertet sich selbst.
Die Agentur für Arbeit fördert Praktika daher nur in Einzelfällen. Wenn also ein Hochschulabsolvent Arbeitslosengeld II bezieht und ein Praktikum beginnen möchte, so bekommt er nicht in jedem Fall weiterhin Unterstützung. Sondern nur dann, wenn sein Betreuer von der Arbeitsagentur in dem Praktikum eine reelle Chance für den Berufseinstieg sieht.
Diesen Charakter haben die meisten Praktika heute aber verloren. Sie werden ausgeschrieben, um eine Stelle einzusparen – nicht, um gegebenenfalls neue qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren. Ingrid Arbeitlang kennt dieses Dilemma aus ihrer täglichen Beratungsarbeit:
Die Frage ist, ob man nicht konsequent die Forderung erhebt, dass man wirklich nur noch während man Student ist eingestellt werden sollte als Praktikant. Ja… das machen einige Firmen, was dann zur Folge hat, dass hier Absolventen sitzen, die sagen: Mensch, ich werde gar nicht mehr genommen, weil ich kein Student mehr bin. Und dann stellt sich natürlich die Frage, wie schaffe ich jetzt den Berufseinstieg, nochmal in verschärfter Form.
Entsprechende gesetzliche Regelungen zur Einschränkung von Praktika sind aber nicht in Sicht. Deshalb hält es Ingrid Arbeitlang für sinnvoll, wenn sich Betroffene wie Mario Schenk wehren, indem sie Aufmerksamkeit für das Problem schaffen. Mario Schenks Nicht-Bewerbung hat tatsächlich erste Kreise gezogen. Er schickte seine Nicht-Bewerbung an Freunde und Bekannte und die schickten sie weiter. Plötzlich erhielt Mario etwa 40 E-Mails aus ganz Deutschland, von Fachschaftsinitiativen aus Lüneburg, von Kieler Umwelttechnikern und von anderen, die seine Nicht-Bewerbung gelesen hatten und sich inspiriert fühlten. Dennoch: Freuen kann sich Mario darüber nur bedingt
Eher eigentlich auch ‘ne sehr traurige Bestätigung, dass es so’n großes Phänomen ist, was viele betrifft und eigentlich hat es mich nochmal wütender gemacht. (Mario Schenk)
Vielleicht werden in Zukunft häufiger Personalchefs eine Nicht-Bewerbung auf Ihrem Schreibtisch vorfinden. Für Mario Schenk war der Aufwand jedenfalls eine sinnvolle Investition. Vor allem wegen des Feedbacks, das ihm andere gaben. Aber auch, um selbst nicht das Gefühl zu haben, schlechte Angebote einfach hinnehmen zu müssen.
Ja, ich hab – das hat‘ ne Weile Zeit gekostet. Und das war just zur Zeit, als ich Magisterarbeit – in der Endphase war. Das hat bestimmt der Arbeit nicht gut getan. Aber das musste raus.