Schuldenschnitt: Deutschland kennt ihr nur zu gut
Varoufakis befand: ja, es ist ungerecht. Er verwies auf Deutschlands Schuldenschnitt nach dem Zweiten Weltkrieg: 1952 bis 1953 wurde in London über die Gelder diskutiert, die Deutschland zurückzuzahlen hatte. Schlußendlich handelte der deutsche Unterhändler, der Bankier Hermann Josef Abs, einen Schuldenerlass von 40 % heraus.
War das nur Abs‘ Verhandlungsgeschick zu verdanken? Wohl kaum – es waren wohl vor allem die Amerikaner gewesen, die auf eine Erleichterung der deutschen Schuldenlast gedrungen hatten. Deutschland ähnlich wie nach dem ersten Weltkrieg und dem Versailler Vertrag als angeschlagene und gedemütigte Großmacht existieren zu lassen, das wollte man diesmal vermeiden. Vielmehr sollte das Land bald wieder auf eigenen Beinen stehen lernen.
Rechnet man neben der Währungsreform von 1948 auch die Schulden ein, die erst gar nicht in die Londoner Verhandlungen mit aufgenommen wurden, dann zeigt sich: Deutschland wurden damals rund 95% seiner Schulden erlassen.
Politisches Kalkül, das aufgehen kann
Das Ergebnis ist bekannt: Westdeutschland florierte, hatte ausgeglichene Haushalte und fühlte sich in der sozialen Marktwirtschaft pudelwohl. Der Plan war aufgegangen:
Man kann sich sehr schwer vorstellen, wie Westdeutschland zur gleichen Zeit sozialen Fortschritt und die Bedienung dieser Schulden hätte haben können. Und das ganze bei ausgeglichenen Haushalten und ohne nennenswerte Inflation. – Albrecht Ritschl
Und 1990 kam es dann aus Deutschland sogar zu einem Schuldenausfall: eigentlich war 1953 in London festgeschrieben worden, dass die deutschen Reparationszahlungen nach einer Wiedervereinigung neu verhandelt werden. Doch Helmut Kohl weigerte sich einfach, das Abkommen umzusetzen. Ein paar kleine Restbeträge wurden gezahlt, die erzwungenen Kredite und Besatzungskosten jedoch blieben offen. „Reparationen hat Deutschland nach 1990 nicht gezahlt“, schlussfolgert Albrecht Ritschl recht eindeutig.
Warum nun also das strenge „Nein“ aus Deutschland zu einem weiteren Schuldenerlass für Griechenland? So unterschiedlich der historische Kontext und so wackelig auch der Vergleich: die Parallelen einer enormen Überschuldung, sie ist zweifelsohne gegeben.
Vielleicht nicht gerecht, aber richtig?
Albrecht Ritschl von der London School of Economics ist sich sicher: in Deutschland mögen die erlassenen Schulden vergessen worden sein, im Ausland ist das nicht so. Und er warnt vor zu einseitigen Forderungen:
Wenn wir jetzt immer nur ‚Stabilität’ und ‚Rückzahlung’ rufen, dann binden wir uns selbst die Hände. (…) Wenn man der Öffentlichkeit immer nur sagt, dass das alles überhaupt nicht in Frage kommt, dann begibt man sich ja aus der Möglichkeit zu einem politischen Kompromiss. Das macht allen Beobachtern außerhalb Deutschlands große Sorge. – Abrecht Ritschl
Für den Wirtschaftshistoriker stellt sich an Griechenland eine ganz andere, größere Frage: die nach dem Ideal Europas, das hier verfolgt wird – und der möglichen Folgen:
Wirklich wichtig ist die Frage: setzt das einen Präzedenzfall für andere schwache Länder? Und ist der Euro eine Art Goldstandard: nur der Club der Allerstärksten? (…) Oder ist der Euro ein gesamteuropäisches Projekt, bei dem man in Kauf nimmt, dass es auf die eine oder andere Weise über Jahrzehnte hinaus ganz beträchtliche Transferzahlungen geben wird. Das ist eine Sache, die uns in Deutschland immer furchtbar aufregt. – Albrecht Ritschl
Was Deutschlands Vergangenheit mit Griechenlands Zukunft gemeinsam haben kann, was ein Schuldenschnitt für Griechenland bedeuten könnte und warum er davon ausgeht, dass man entgegen aller Wortmeldungen in die Kameras Griechenland noch mehr Schulden wird erlassen müssen, erklärt Albrecht Ritschl im Gespräch mit detektor.fm-Moderatorin Astrid Wulf.
Redaktion: Richard Hees, Marcus Engert