Homöopathie – Was ist das eigentlich?
Klassische Schulmedizin hat es schwer, in den Augen vieler Kunden. Immer schneller muss es gehen, immer effektiver muss die Behandlung sein.
Und wie immer bei vox:publica war jeder aufgerufen, uns seine Meinung zum Thema zu schicken – zum Beispiel via App, Mail, twitter, facebook oder app.net.
In der detektor.fm-Smartphone-App wollten wir wissen: „Worauf achtest du beim Medikamenten-Kauf?“ Am wichtigsten sind den Hörern dabei die Inhaltsstoffe und die Verträglichkeit der Arznei.
Weniger Wert wird offenbar auf Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis und auf den Preis gelegt. Hier sind die genauen Ergebnisse:
Voting: Worauf achtest du beim Medikamenten-Kauf?
Unser Hörer Hanno hat uns seine Meinung zum Thema geschickt – ganz sicher ist er sich aber nicht, ob er Homöopathie gut oder schlecht finden sollte:
Die Skeptiker – Ohne Beweis kein Glauben
Sie verlangen vor allem eines: Beweise. Studien, die belegen, dass homöopatischen Mitteln eine positive Wirkung jenseits des Placebo-Effektes nachzuweisen ist. Und nicht wenige Hörerinnen und Hörer lehnen Homöopathie rundheraus ab. Warum, das hören Sie hier:
Der Allgemeinmediziner
Warum sind homöopathische Mittel so umstritten? Geht da ein ganzer Industriezweig auf Dummenfang und verdient viel Geld mit wirkungslosen Mittelchen? Oder können bestimmte Therapien die klassische Schulmedizin tatsächlich gut ergänzen?
Das wollen wir nicht nur Menschen fragen, die Studien erheben und individuelle Erfahrungen gesammelt haben, sondern auch hemanden mit Praxisbezug.
Über die Sicht auf Homöopathie aus ärtzlicher Perspektive sprechen wir mit dem Allgemeinmediziner Martin Hermann aus Wuppertal. Er betreibt dort eine Praxis und lehrt außerdem an der Medizinischen Fakultät der Universität Essen-Duisburg.
Der Statistiker
Ist Homöopathie mehr als nur der Placebo-Effekt? Was wirkt da in unserem Körper, wenn wir alternative Medizin nehmen? Und was sagen die harten Fakten, die Statistiken, dazu?
Gerd Antes ist der Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrum in Freiburg. Das Cochrane-Zentrum vergleicht internationale Studien miteinander.
Es ist eine der führenden Einrichtungen, wenn es darum geht, medizinische Therapien objektiv zu bewerten.
Näheres hören Sie im Interview mit Gerd Antes:
Die Befürworter – Was Homöopathie besser können soll
Sie schwören, dass es hilft: Befürworter der Homöopathie verweisen auf eigene Erfahrungen. Krankheiten, bei denen die Schulmedizin nicht mehr weiter gewusst habe. Aber auch kleinere Beschwerden. Stets seien es homöopathische Mittel gewesen, die die Heilung gebracht hätten. Und so erreichten uns auch folgende Meldungen, die vom Sinn homöopathischer Mittel überzeugt sind.
Die Therapeutin
Monika Kölsch ist Ärztin für klassische Homöopathie. Sie hat ein humanmedizinisches Studium absolviert und sich später auf Homöopathie spezialisiert.
Kölsch setzt in ihrer Praxis auf eine Kombination aus Schulmedizin und Homöopathie, denn sie kennt die Grenzen beider Disziplinen.
Außerdem hat die Ärztin einen besonderen Zweig der Homöopathie entwickelt: die Telehomöopathie. Das bedeutet, dass sie Sitzungen auch durchführt, wenn der Patient gar nicht ihrer Nähe ist: über Skype.
Wir haben Monika Kölsch in ihrer Praxis in Leipzig besucht:
Bonus: Eine skeptische Mail
Diese Mail erreichte uns im Vorfeld der Sendung. Sie ist dicht gefüllt mit Argumenten – so dicht, dass wir sie leider nicht komplett in die einstündige Sendung einarbeiten konnten. Wir möchten sie hier dennoch bereit stellen: Ulli M. mit sieben Argumenten gegen Homöopathie:
„Die Homöopathie ist – seit ihrer Begründung – ein umfänglich gescheitertes pharmakologisches Therapieverfahren, dessen Unfähigkeit darin liegt, nicht auf die Rezeptortheorie abzustellen (die zu Hahnemanns Zeiten noch nicht bekannt war, aber heute die Grundlage jeder pharmakologischen Therapie ist), sondern Materie mit „geistartigen Kräften“ zu versehen, also obsoleten Vorstellungen der vorwissenschaftlichen Alchemie zu huldigen.
Wir wissen heute mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass keine Studie, die der Homöopathie spezifische Wirkungen bescheinigt, fehlerfrei ist. Bisher haben sich in jeder Exploration der Homöopathie mit positivem Ergebnis, schwerwiegende Fehler finden lassen. Das ist nicht verwunderlich, ist doch die Theorie der Homöopathie mit sich ständig auf neue bestätigenden Naturgesetzen nicht vereinbar.
Deshalb ist es kaum zu widerlegen: Die anekdotischen Erfolgsmeldungen der Homöopathie (und auch anderen alternativen Heilverfahrenen) beruhen auf bekannten Sachverhalten, nämlich auf Selbst- und Fremdtäuschung, oder – um es neutraler auszudrücken – auf mehr oder weniger banalen Wahrnehmungsfehlern, verbunden mit psychosozialen Mechanismen:
- Die meisten unserer alltäglichen, akuten Erkrankungen (mehr als 2/3) heilen aufgrund ihres natürlichen Verlaufs. Sie sind „selbstlimitierend“, heilen also auch ohne äußere Interventionen aus. Ärztliche Aufgaben sind bei diesen Erkrankungen in erster Linie im diagnostischen Bereich zu sehen, möglicherweise bei der Symptomlinderung und letztlich bei der Verhinderung möglicher Komplikationen. Ein geradezu klassisches Beispiel ist die meist virale Infektion der Atemwege. Der Schnupfen kommt, bleibt ein paar Tage zu Besuch und geht wieder, und es ist völlig egal, was man macht – beispielsweise homöopathische Arzneien einnehmen. Der Selbstbetrug besteht darin, davon auszugehen, dass die homöopathische Arznei dafür verantwortlich ist, dass sich der Schnupfen erledigt hat. Hier treffen wir auf den wohl wesentlichsten logische Fehler, der Verwechselung von Koinzidenz und Korrelation mit Kausalität. Längst nicht alles, was zeitlich aufeinander folgt, ist auch ursächlich miteinander verbunden, so dass die Schlussfolgerung „Post hoc ergo propter hoc = „Danach, also deswegen“ ein erhebliches Irrtumspotential beinhaltet. Genauso wenig ist auch alles, was korreliert auftritt, zwingend ursächlich miteinander verbunden.
- Bei chronifizierten Krankheiten ist es ein wenig anders: Suggestion, Glaube, Erwartung, Ablenkung der Aufmerksamkeit, Behandlungskosten, Überzeugungskraft des Therapeuten oder auch zyklische Krankheitsverläufe – all das kann den Verlauf einer chronischen Krankheit kurzfristig positiv verändern, ohne allerdings eine tatsächliche Heilung zu erzeugen. Oftmals werden die Phasen der Verbesserung als Heilungen fehlgedeutet. Gerade dieser Mechanismus ist ein Hauptgrund für die „Erfolgsmeldungen“ der gesamten Alternativmedizin – nicht nur der Homöopathie
- Gleichzeitige Behandlung mit wissenschaftsmedizinischen und alternativen Methoden hat oft zur Folge, dass Patienten und Co-Therapeuten die Besserung auf die mit spektakulären Setting verbundene, alternative Therapie zurückführen. Mit diesem Wissen werden regelmäßig Studien veröffentlicht, die angeblich die „erfolgreiche Zusammenarbeit“ von Wissenschafts- und Komplementärmedizin suggerieren – völlig unabhängig davon, dass sich mit solchen Studien nie die Wirksamkeit einzelner Verfahren belegen lässt. Wenn man also bei einer Behandlung mit Antibiotika zusätzlich homöopathische Mittel einsetzt – und damit bessere Ergebnisse als bei einer Vergleichsgruppe ohne Homöopathie erzielt werden – sagt das nichts über die Wirksamkeit der Homöopathie aus, sondern belegt ausschließlich das Vorhandensein eines (irgendeines) Effekts
- Fehlerhafte Diagnosen und angebliche Krankheiten sind der etwas miesere Weg, „Heilerfolge“ zu produzieren. Wenn mit untauglichen Diagnoseverfahren im Grunde nicht vorhandene Krankheiten diagnostiziert werden, ist es ein Einfaches, diese mittels genauso untauglicher Heilverfahren wieder zu beseitigen – man braucht nur einen weiteren untauglichen Test, der dann nicht mehr die Krankheit, sondern die Heilung belegt. Vielfach zu erleben ist dieser Mechanismus bei „Profi-Patienten“, die sich – mittels obskurer Literatur oder genauso obskurer Internetseiten – oft falsche Selbstdiagnosen stellen, die naturgemäß kaum längeren Bestand haben, deren „Verschwinden“, nach Anwendung einer beliebigen Therapie, aber als Heilerfolge geschildert werden.
- Gefälschte Erfolgsgeschichten: Sehr häufig ist die Anwendung obskurer Heilverfahren ein Streitthema im engeren sozialen Umfeld vieler Patienten. Hier ist regelmäßig festzustellen, dass in individuellen Heilsberichten die Wirksamkeit des Mittels/des Verfahrens völlig überzogen positiv dargestellt werden – nicht zuletzt, um das Gesicht gegenüber Freunden und Verwandten zu bewahren, die die Anwendung einer fragwürdigen Therapie möglicherweise nicht gutheißen. Ähnliches geschieht auch im Umgang mit alternativen Therapeuten, die sich intensiv um den Patienten kümmern (wozu der Hausarzt „üblicherweise“ keine Zeit hat). Hier wird der Therapeut für seine Zuwendung durch ebenfalls positiv überzogene Heilsberichte belohnt, was zur Folge hat, dass dieser in seinem Glauben an ein unwirksames Verfahren gestärkt wird.
- Nicht Heilung der Krankheit, sondern Heilung des Krankseins wegen der Krankheit. Nicht wenige Patienten verwechseln die Ursache ihrer Befindlichkeitsstörungen: oftmals ist nicht die eigentliche Erkrankung die Ursache, sondern im wesentlichen Maße die Tatsache, dass man krank ist. Hier werden psychomanipulative Maßnahmen – beispielsweise die im Grunde völlig absurden Anamnesen der Homöopathie – als „ganzheitliche Wahrnehmung des Erkrankten“ interpretiert, was dem Patienten das Gefühl vermittelt, mit seinen Beschwerden ernst genommen zu werden. Wir wissen, dass allein dieses Gefühl bei vielen Patienten schon eine Zustandsverbesserung auslöst, in deren Kontext dann auch die Beschwerden der eigentliche Erkrankung geringer angesehen werden, obwohl eine objektive Verbesserung des zugrundliegenden Krankheitsbild nicht stattgefunden hat.
- Symptomlinderung wird als Heilung interpretiert. Erkranke Menschen bewerten die Linderung von Schmerzen und Beschwerden am höchsten. Wie schon mehrfach angedeutet, beeinflussen angeblich heilende Behandlungen, die von Alternativmedizinern angeboten werden, zwar nicht den Verlauf der Krankheit selbst, machen aber das Unwohlsein erträglicher – aus psychologischen Gründen. Tatsächlicher Schmerz und subjektives Schmerzempfinden ist ein wichtiges Beispiel dafür. Die Schmerz-Forschung zeigt, dass Schmerz einerseits ein Sinneseindruck ist, wie auch Sehen oder Hören, andererseits aber ein Gefühl. Es wurde wiederholt herausgefunden, dass eine erfolgreiche Verringerung der Gefühlsseite des Schmerzes den Sinneswahrnehmungsanteil überraschend erträglich werden lässt. Auf diese Weise kann Leiden oft durch psychologische Mittel verringert werden, selbst wenn das zugrunde liegende Krankheitsbild sich nicht verändert. (Siehe auch Punkt 2. und 6.).
Fazit: Ich sehe nach Jahren umfänglicher Auseinandersetzung mit der Homöopathie nicht einen einzigen Grund, dieses Verfahren als Therapie ernst zu nehmen. Es gibt keinen Grund, über die Homöopathie zu diskutieren, es sei denn im Zusammenhang mit der Frage, ob Placebo-Therapien tatsächlich Optionen für den medizinischen Alltag sind.
Was notwendig ist, ist nicht die üblicherweise ins Uferlose führende Diskussion, ob Belladonna C30 bei Kopfschmerzen hilft, sondern allenfalls, was zur falschen Annahme geführt hat, dass Belladonna C30 die Kopfschmerzen beseitigt hat.“
– Ulli M.