Für Szenarien wie dieses scheint das Wort „Wirtschaftswunder“ erfunden worden zu sein: 2011 ist Irland mitten in einer schweren Rezession. Die Finanzkrise von 2008, zwielichtige Geschäfte irischer Banken und eine gewaltige Immobilienblase haben die Wirtschaftsleistung um ein Fünftel einbrechen lassen. Die Arbeitslosigkeit stieg zwischenzeitlich auf 15 Prozent.
Zusammen mit Portugal, Italien, Spanien und Griechenland wird Irland in dieser Zeit den sogenannten „PIIGS-Staaten“ zugerechnet. Im Verlauf der Finanz- und Eurokrise bekommen sie die desaströse Folgen der Krise besonders stark zu spüren und sind auf Rettungsgelder der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfonds und der EU angewiesen.
Doch nur fünf Jahre später, im Jahr 2016, hat sich Irland nicht nur von der Krise erholt, sondern sorgt mit seiner wiedergewonnenen Wirtschaftsleistung für Aufsehen: 2014 und 2015 ist das irische Bruttoinlandsprodukt so stark gewachsen wie in keinem anderen Land in der Eurozone. Den EU-Rettungsschirm hat das Land bereits im Dezember 2013 verlassen können.
Ein Aufschwung in Zahlen
Auch die Arbeitslosigkeit fällt. 2015 ist sie erstmals seit Jahren wieder unter zehn Prozent gerutscht, im Januar 2016 liegt sie bei 8,6 Prozent – der niedrigste Wert seit sieben Jahren. Ein Ende der Erholung ist nicht in Sicht. Gerade erst hat die irische Zentralbank ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum 2016 nach oben korrigiert.
Zahlen des irischen Central Statistics Office deuten an, dass auch die Binnennachfrage wieder anzieht. Gerade hat die KBC Bank das Kauf- und Konsumverhalten der Iren analysiert und festgestellt, dass die Iren wieder so viel einkaufen, wie zuletzt vor 15 Jahren – einer der wichtigsten Indikatoren dafür, dass es einem Land wirtschaftlich tatsächlich besser geht.
Die Nachfrage an Gütern und Dienstleistungen hat zugenommen. Ein üblicher Indikator dafür sind die Autokäufe. Die sind seit erstmals fünf Jahren wieder angestiegen. Der Einzelhandel erholt sich. – Sean Byrne, Ökonom am Dublin Institute of Technology
Auch der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ist dieser Aufschwung nicht verborgen geblieben. In ihrer Analyse der irischen Wirtschaft für das Jahr 2015 fasst sie deren Erholung mit vielen lobenden Worten zusammen.
Aber sie warnt auch: Denn noch immer ist die Hälfte aller arbeitslosen Iren länger als ein Jahr auf Jobsuche. Insbesondere Geringqualifizierte fänden keinen Anschluss am Arbeitsmarkt.
Fluch und Segen der „multinationals“
Grund für Irlands schnelle Erholung ist vor allem der starke Export des Landes. Kaum eine andere Volkswirtschaft auf der Welt hat so hohe Export- und Importanteile am Bruttoinlandsprodukt.
Dominiert wird der Export vor allem durch große multinationale Konzerne, angelockt von den in Europa konkurrenzlos niedrigen Unternehmenssteuern (12,5 Prozent). Die „Multinationals“ treiben Irlands Wirtschaft an, sind sogar in den Krisenjahren robust geblieben. Zu ihnen gehören unter anderem Google und Microsoft, aber auch internationale Pharma-Hersteller.
Festzuhalten ist aber auch, dass nur etwa neun Prozent der Iren direkt bei den „Multinationals“ beschäftigt sind. Die restlichen Stellen verteilen sich vor allem auf Branchen, die von der Binnenwirtschaft abhängen oder eher traditionelle Exportgüter herstellen. Die irische Industrie bleibt gegenüber den multinationalen Konzernen abgeschlagen. Nicht überall hat das Wachstum zu Verbesserungen geführt.
Die finanzielle Unterstützung für Innovationen muss ausgeglichen werden – weg von steuerlichen Anreizen, die oft multinationalen Konzernen helfen, hin zu direkter Förderung, zu der auch kleine Firmen Zugang haben. – OECD-Generalsekretär Angel Gurría über Irlands Wirtschaftspolitik
Junge Iren verlassen das Land
Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in Irland mit ca. 20 Prozent im europaweiten Durchschnitt. Dennoch emigrieren viele junge Iren auch weiterhin in Scharen. 2014 hat fast jeder fünfte Ire im Ausland gelebt und gearbeitet. Insbesondere die steigende Arbeitslosigkeit während der Rezession hat diesen Trend zwischenzeitlich verstärkt.
Which #OECD country claims the most or least native-born people living abroad? https://t.co/jI3pQhmXHj #migration pic.twitter.com/mNeC2eLu5r
— OECD (@OECD) 11. Februar 2016
Die Exportstärke der Iren könnte sich im schlechtesten Fall als Schwäche zeigen, insbesondere die Abhängigkeit von Handelspartnern wie dem Vereinigten Königreich. Rund ein Drittel der irischen Exporte geht nach Großbritannien. Doch im unwahrscheinlichen Falle eines EU-Austritts der Briten drohen Handelsschranken und damit auch ein kräftiger Dämpfer für Irlands Exportindustrie.
Klar ist: Es könnte derzeit wirtschaftlich deutlich schlechter laufen für die Iren. Doch wie nachhaltig ist der Aufschwung? detektor.fm-Reporter Lucas Kreling fasst zusammen.