Känguruh-Beutel statt Brutkasten
Zumindest fast. Kanadische Forscher haben 20 Jahre lang Frühchen begleitet und deren Entwicklung erforscht. Dabei wurden die insgesamt 264 Kinder in zwei Gruppen aufgeteilt. Ein Teil der frühgeborenen Babys wurde im herkömmlichen Brutkasten gepflegt, bis sie stabil genug waren, um mit ihren Eltern die Klinik zu verlassen. Der zweite Teil der Forschungsgruppe wurde mithilfe der „Känguruh-Methode“ in der Klinik gepflegt. Die Mutter hatte dabei das Kind so oft wie möglich am Körper. Gehalten wird es dabei durch ein Tragetuch. Ärzte und Personal der Klinik haben die Bindung der beiden nur gestört, wenn es die Behandlung erforderte. Diese Methode wurde 1978 aus einer Not heraus in Bogota, Kolumbien erfunden, da in einer Entbindungsklinik nicht genügend Brutkästen zur Frühchenpflege vorhanden waren. Diese Methode wurde nun erstmals in einer Langzeitstudie gegenüber der herkömmlichen Methode evaluiert.
Känguruh-Methode führt zu besserer Entwicklung
Alle 264 Frühchen wurden zwischen 1993 und 1996 mit einem Gewicht unter 1.800 Gramm geboren. 18 bis 20 Jahre später seien die „Känguruh-Babys“ laut den Forschern durchschnittlich weniger aggressiv gewesen und hätten einen höheren Intelligenzquotienten. Auch ihre schulischen Leistungen seien besser gewesen als die der Kontrollgruppe. Als Grund dafür wird angegeben, dass das Gehirn der „Känguruh-Babys“ besonders in den Bereichen stärker gewachsen ist, die fürs Lernen und die Auffassungsgabe zuständig sind.
Als Frühchen in Deutschland
In Deutschland werden Frühgeburten seit Mitte der 1950er-Jahre in Brutkästen (Inkubatoren) behandelt. Diese riegeln das Kind gegenüber seiner Umwelt ab. Dadurch sollen vor allem Infektionen und Krankheiten vermieden werden. Für einige Zeit, zum Beispiel zum Füttern oder Kuscheln, dürfen die Mütter ihre Kinder im Arm behalten. In der restlichen Zeit können über den Brutkasten die Gesundheitsparameter des Kindes beobachtet, die Wärmezufuhr überwacht und wichtige Behandlungen wie zum Beispiel das Beatmen automatisch über den Brutkasten gemacht werden. Allerdings gibt es seit einigen Jahren eine neue Methode.
Viele Neonatologien nutzen eine Kombination aus der Känguruh-Methode und den Brutkästen. Das Kind wird ärztlich versorgt, während es an der Brust der Mutter oder des Vaters liegt. Lebenswichtige medizinische Zugänge oder auch die Beatmung finden auf dem Körper statt.
Die Mutter hat die perfekte Temperatur. Das, was ein Frühgeborenes am meisten bedroht, ist Auskühlung. Durch die Wärmebrücke zwischen der Haut des Kindes und der Mutter bleibt die Temperatur konstant. – Christoph Bührer, Klinikdirektor der Neonatologie an der Charité Berlin
Von Außen werden Tücher um die Kinder gelegt. Sollte die Mutter schlafen wollen oder Zeit für sich benötigen, werden die Frühgeborenen dann in die Inkubatoren gelegt. In der Neonatologie der Charité in Berlin ist diese Methode bereits gängige Praxis und die Ärzte bestätigen deren positiven Effekt. Es sei aber nicht nur gut für die Kinder. Auch die Eltern würden von der Methode profitieren.
Es tröstet das Kind und die Mutter. Wenn eine Mutter spürt, dass ihr Kind nah bei ihr ist, dann geht es auch ihr besser. – Christoph Bührer
Über die Känguruh-Methode und dessen medizinischen Nutzen hat detektor.fm-Moderatorin Doris Hellpoldt mit Christoph Bührer gesprochen. Er ist Klinikdirektor der Neonatologie an der Charité Berlin.