Edvard Munch, ein Borderline-Patient?
Wer das Borderline-Syndrom verstehen will, der sollte sich das Bild „Jugend am Meer“ des norwegischen Malers Edvard Munch anschauen. Das Bild zeigt vier Personen, die auf das Meer hinausschauen. Obwohl sie nahe beieinander sitzen, scheinen sie unfähig, miteinander in Kontakt zu treten. Ein Hauptsymptom des Borderline-Syndroms. Psychiater vermuten übrigens, dass der Maler Edvard Munch selbst an der Persönlichkeitsstörung litt.
Von Edvard Munch – eigener Scan von Arne Eggum: Der Linde-Fries, Lübeck 1982, Abb. XI, Gemeinfrei
Eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung
In Deutschland gehen die Schätzungen von bis zu vier Millionen Borderline-Patienten aus. Intensive Gefühls- und Stimmungsschwankungen, ein gestörtes Selbstbild und Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen gehören zum Krankheitsbild der Betroffenen. Häufig gehen damit Selbstverletzungen oder erhöhter Drogenkonsum einher. Bisher hat man mehr oder weniger erfolgreich versucht, die Borderline-Patienten mit Psychotherapien, Antidepressiva und Antipsychotika zu therapieren.
Mimik und Emotionen gehen Hand in Hand
Doch es gibt eine neue Hoffnung: Das Nervengift Botulinumtoxin, bekannt unter dem Namen „Botox“, soll bei der Therapie des Borderline-Syndroms Anwendung finden. Untersucht haben die Behandlungsmethode Tillmann Krüger von der Medizinischen Hochschule Hannover und sein Kollege Axel Wollmer von der Asklepios Klinik Nord in Hamburg.
Bereits vor zehn Jahren hatte der plastische Chirurg Eric Finzi und die Psychologin Erika Wassermann die Wirkung von Botox bei Depression untersucht. Sie spritzten den Versuchspersonen Botox in den Corrugator-Muskel, der zum Stirnrunzeln nötig ist. Mit Erfolg!
Botox ist zwar ein Nervengift, wird aber neben der Faltenbekämpfung in der Schönheitschirurgie auch gegen Migräne, übermäßige Schweißproduktion, Zähneknirschen oder Verspannungsprobleme eingesetzt. In einen Muskel injiziert blockiert Botox die Nervenimpulse. In Finzis und Wassermanns Studie konnten die Testpersonen also ihre Stirn nicht mehr wie gewohnt runzeln. Gleichzeitig ließen ihre Depressionen nach.
Botox – Nervengift und Heilmittel?
Auch Krüger und Wollmer haben dieses Phänomen untersucht. Sie begründen ihre Ergebnisse mit der sogenannten „Facial-Feedback-Schleife“. Demnach beeinflussen Emotionen nicht nur die Mimik, sondern werden selbst auch durch die Mimik beeinflusst. Der Gesichtsausdruck und das psychische Befinden sind eng miteinander verbunden.
Der Großteil der Mimik funktioniert völlig normal. Aber das Zornig-, Verärgert- oder Traurig-Gucken ist etwas abgeschwächt. Das ist für die Patienten eine große Entlastung. – Tillmann Krüger, Medizinische Hochschule Hannover
Auf Grundlage dieser Erkenntnis spritzten Krüger und Wollmer sechs Borderline-Patientinnen Botox in die Stirn und erhielten überraschende Ergebnisse. Über den Hintergrund der Botox-Behandlung bei Borderline-Patienten hat detektor.fm-Moderator Thibaud Schremser mit Tillmann Krüger gesprochen. Er ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde an der Medizinischen Hochschule Hannover.