Forschung damals und heute
In den siebziger und achtziger Jahren hat es an deutschen Hochschulen so etwas wie akademische Räte und wissenschaftliche Assistenzen gegeben. Das waren teils Beamte auf Lebenszeit, die als Wissenschaftler an den Universitäten forschten, ohne jemals Professor zu werden. Heute sieht die Situation an den Hochschulen anders aus. Es gibt nur noch Professoren, Verwaltung, Studenten und den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Einziger Ausweg? Der Aufstieg zum Professor.
Bei genauerem Hinsehen sind die Nachwuchswissenschaftler heute oft über vierzig Jahre alt, haben jahrelange Erfahrung in Forschung und Lehre und dem Einwerben von Drittmitteln. Viele haben mehr Drittmittel eingeworben, als ihre eigenen Stellen die Hochschulen jemals gekostet haben. Dann gibt es noch einen Grund, warum man auch diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute als Nachwuchs bezeichnen könnte: Ihr einziger Weg, weiter in der Forschung zu arbeiten, ist der Aufstieg zum Professor. Denn auch wenn es theoretisch noch immer möglich ist, unbefristete Stellen an Wissenschaftler zu vergeben, spielt das in der Praxis seit Jahren keine Rolle mehr. Und laut dem 2007 erlassenen Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) darf wissenschaftliches Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen maximal zwölf Jahre befristet beschäftigt werden. Ist diese Zeit abgelaufen, stehen die Hochschulen vor der Frage: Bieten wir dem Wissenschaftler jetzt einen unbefristeten Vertrag an oder stellen wir neuen Nachwuchs ein?
Chronischer Wissensverlust
Auch weil die Universitäten chronisch unterfinanziert sind und sich ihre Flexibilität erhalten wollen, wird so gut wie immer statt des Vertrages der Wissenschaftler ausgewechselt. Damit geht den Hochschulen nicht nur permanent Wissen verloren. Viele Wissenschaftler stehen in ihren vierziger Jahren an ihrem beruflichen Ende. Es ist ein hohes Risiko, dass die Nachwuchswissenschaftler auf sich nehmen, wenn sie eine akademische Karriere einschlagen. Aber die Professur lockt. Dabei gibt es ja gar kein generelles Verbot, Wissenschaftler dauerhaft anzustellen.
Der Mittelbau, also das wissenschaftliche Personal zwischen Studierenden und Professoren, hat diese Politik seit Jahren zu ertragen. Er kann aber auch wenig dagegen ausrichten. Denn seine Vertreter sind in den universitären Gremien meistens unterrepräsentiert. Dort haben traditionell die Professoren die Mehrheit. Dazu kommt der Teufelskreis der befristeten Verträge. Kaum ein Wissenschaftler hat die Perspektive, von eigenem Engagement zu profitieren, da seine Karriere niemals sicher ist. Universitätswechsel und permanente Arbeitsüberlastung tragen auch dazu bei.
Keine Sicherheit trotz Verträgen
An einigen Universitäten haben sich in den vergangenen Jahren Mittelbauinitiativen gegründet, die für die Interessen des Mittelbaus eintreten wollen. In Dresden hat man nach der Gründung erst einmal eine Befragung durchgeführt um zu verstehen, wo eigentlich die Probleme liegen. Die Antworten sind erschütternd. Dass inzwischen über 80 % aller wissenschaftlichen Stellen an den Universitäten befristet sind, ist weithin bekannt. Das fast die Hälfte dieser Verträge auf ein Jahr oder darunter angesetzt sind, kann verwundern. Ein Viertel der Beschäftigten hat bereits mehr als sechs Verträge mit Hochschulen abgeschlossen. Bei Einigen sind es über zwanzig.
Ob die Hochschulleitungen das alles wissen, ist ungewiss. Zwar wird das System zumindest gebilligt, aber oft wissen die Universitäten gar nicht genau, wer bei ihnen eigentlich alles arbeitet. Viele Beschäftigte haben mehrere Verträge, mit unterschiedlichen Laufzeiten, teilen sich stellen oder sind über Drittmittelprojekte angestellt, werden also überhaupt nicht von den Hochschulen bezahlt, für die sie arbeiten.
Dr. Andreas Keller ist Stellvertretender Vorsitzender der GEW und dort auch Leiter des Vorstandsbereichs Hochschule. Wie auch für die Politiker geht für ihn die Beschäftigungspolitik an den Hochschulen seit Jahren in die falsche Richtung. Seine Gewerkschaft hat kürzlich einen Vorschlag für eine Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vorgelegt. Sie fordern unter anderem, dass es keine Befristungen mehr geben soll, die kürzer als drei Jahre sind. Und einen Schutz für Doktoranden und Habilitierende, der ihnen auch die Arbeit an der entsprechenden Qualifikation erlaubt.
Die Autonomie der Hochschulen muss zu einer Selbstverpflichtung führen
Außerdem setzt sich Keller für einen Tenure-Track-Programm an den Hochschulen ein: Das sind Stellen, die zwar zunächst befristet sind, aber entfristet werden sollen, wenn im Beschäftigungszeitraum ein vertraglich festgelegtes wissenschaftliches Ziel erreicht wird: Etwa der Abschluss eines Forschungsprojektes wie der Promotion. Zwar gibt es beispielsweise an der LMU München Tenure-Track-Programme, diese richten sich aber erst an Wissenschaftler, die bereits habilitiert sind oder kurz vor Vollendung der Habilitation stehen. Für Keller setzt dieses Programm zu spät in der Karriere der Wissenschaftler ein. Seiner Meinung nach sollten die Tenure-Track-Programme direkt an die Promotion anschließen. Das würde für viele junge Doktoren die Entscheidung wesentlich leichter machen, ob sie auf eine wissenschaftliche Karriere setzen oder nicht. Das wichtigste aber scheint eine freiwillige Selbstverpflichtung der Universitäten zu sein, gemeinsame Richtlinien zu erarbeiten und umzusetzen, wie wissenschaftliche Arbeit wieder erstrebenswert werden kann.