Das Forschungsquartett – dieses Mal in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa.
Wer 500 Jahre zurück in die Vergangenheit schaut, findet den Ursprung des „Ghettos“: Im Jahre 1516 ist das erste Mal unter dieser Bezeichnung ein abgegrenztes Wohnviertel für Juden und Jüdinnen entstanden. Dieses Ghetto befindet sich in Italien, genauer gesagt in Venedig. Auf dem Gelände einer alten Gießerei – in diesem Wort findet der Begriff Ghetto übrigens auch seinen Ursprung.
Warum wurde das Ghetto überhaupt geschaffen?
Um zu verstehen, warum das Ghetto durch den venezianischen Senat erschaffen wurde, muss nochmal ein Schritt zurückgegangen werden: Bereits im 14. Jahrhundert haben sich immer wieder Juden und Jüdinnen in Venedig aufgehalten. Allerdings immer nur für eine kurze Zeit. Denn der Senat hat es stetig unterbunden, dass sich jüdische Menschen dauerhaft ansiedeln.
Dann im 16. Jahrhundert entwickelt sich die Lage weiter, Juden und Jüdinnen siedeln sich in Mestre an. Das ist auf dem venezianischen Festland. Auch die Haltung des Senats in Venedig verändert sich: Nun dürfen die jüdischen Inhaber von Pfandleihhäusern sich für zehn Jahre in der Stadt Venedig niederlassen. Grund dafür war die Angst vor militärischen Angriffen durch die „Liga von Cambrai“. Im Vordergrund steht dabei aber nicht unbedingt der Schutz von jüdischen Menschen an sich, sondern der Schutz der Pfänder, bei denen Christen Kredite aufgenommen hatten.
Der Zorn Gottes auf Venedig
Nach einigen Jahren haben einflussreiche Priester in Venedig angefangen, sich zu beschweren. Die Juden und Jüdinnen würden den Zorn Gottes über die Stadt bringen. Eine Lösung musste her. Also beschloss der Senat, dass jüdische Menschen von nun an in einem abgegrenzten Wohnraum leben müssen: dem Ghetto. Damit sendet der Senat zwei Botschaften:
Das mag zwar sicher gewesen sein. Aber der sichere Wohnraum ist an viele Bedingungen geknüpft worden: Es durften keine Synagogen erbaut werden, Juden und Jüdinnen hatten kein Anrecht auf Grundbesitz, die Tore zum Ghetto wurden nachts abgeschlossen. Diese Regeln standen laut Jürgen Heyde aber vor allem auf dem Papier. In der Praxis sah das ein wenig anders aus.
Auch wenn es mit vielen Restriktionen verbunden war: Juden und Jüdinnen haben versucht, sich diese Viertel anzueignen.
Die große Befreiung?
Mit der Französischen Revolution kommt der Aufbruch in eine neue Zeit: Der Blick nach vorne, in die Moderne. Alles was alt und rückständig ist, muss zurückgelassen werden. Dazu zählen auch Ghettos. Diese galten nur noch als Inbegriff der alten Zeit, der Trennung zwischen Christen und Juden. Die Tore werden abgerissen, die Straße, die zum Ghetto führt, in „Via Libera“ umbenannt. Alle sollten von nun an gleichberechtigt sein.
Das sollte so aber nicht funktionieren. Wie geht die Geschichte der Ghettos weiter? Wie kam es dazu, dass Ghetto als Begriff für die von den Nationalsozialisten geschaffenen Zwangsbezirke genutzt wurde? Und warum ist der Begriff heute Gang und Gäbe in der Popkultur? Über all das haben detektor.fm-Redakteurin Lena Jansen und Jürgen Heyde vom Leibniz Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO) gesprochen. Er hat das Buch „Das neue Ghetto? Raum, Wissen und jüdische Identität im langen 19. Jahrhundert“ verfasst. Von den Ergebnissen erzählt Lena Jansen der detektor.fm-Moderatorin Leora Koch.