Eigentlich ist der Traum das Reich des Unterbewusstseins. Erlebnisse des Tages, Emotionen und Bilder sprudeln unkontrolliert aus der Tiefe des Selbst. Der Träumende empfindet sich als Zuschauer in einem bizarren Film, der mal schön, mal angsteinflößend sein kann. Aber wohin die Reise führt, liegt außerhalb seiner Macht.
Bei einigen Menschen jedoch wird während des Traums ein Teil des Gehirns aktiviert, der im Schlaf normalerweise ruht. Dieser Bereich ist Teil der Region, die Wissenschaftler bevorzugt mit dem Bewusstsein in Verbindung bringen: Der Präfrontale Cortex. Hier, direkt hinter der Stirn, werden Emotionen, Wahrnehmungseindrücke und Erinnerungen zusammengeführt. Er ist dann aktiv, wenn wir langfristige Pläne schmieden oder Handlungsimpulse unterdrücken. Menschen, die in dieser Region verletzt sind, können solchen Handlungsimpulsen ausgeliefert sein, weil die Kontrollinstanz nicht mehr funktioniert. Wissenschaftler sprechen von der integrativen Funktion dieser Region.
Klarträumer können ihre Trauminhalte selbst gestalten
Für den Träumenden äußert sich die Aktivierung dieser Region als ein Bewusstwerden im Traum. Der Traum wird als solcher erkannt, und gleichzeitig erhält der Träumer die Kontrolle über die Trauminhalte. Wie stark diese Kontrolle ausgeprägt ist, ist individuell verschieden. Am einfachsten scheint die Kontrolle über den eigenen Körper zu sein, weswegen viele Klarträumer gern durch ihre Träume fliegen. Etwas herausfordernder scheint die Manipulation von Objekten oder die Veränderung der Landschaft. Den Grad an gewonnener Klarheit können Wissenschaftler mit Fragebögen anhand der LuCiD-Skala festhalten (Lucidity and Consciousness in Dreams scale).
Unter anderem anhand dieser Skala hat Elisa Filevich vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin Testpersonen in zwei Gruppen geteilt: Häufige Klarträumer und Personen, die nie oder selten klarträumen. Sie erhofft sich, von möglichen Unterschieden in der Hirnstruktur Wissen über die Funktion einzelner Bereiche des Gehirns zu gewinnen. Dabei richtet sie ihre Aufmerksamkeit auf einen Teilbereich des präfrontalen Cortex.
Genau an dessen Spitze, am vorderen Ende des Gehirns, sozusagen am Pol dieses Organs, liegt der frontopolare präfrontale Cortex. Hier liegen die Brodmann-Areale 9 und 10, von denen Wissenschaftler noch immer nicht genau wissen, an welchen Funktionen sie genau beteiligt sind. Aber dieser Bereich ist in der menschlichen Evolution stark gewachsen, und Forscher vermuten dort den Sitz wesentlicher Aspekte der menschlichen Intelligenz. Esoteriker zeichnen hier gerne an der Außenseite der Stirn ein drittes Auge ein.
Klarträumer sind metakognitive Typen
Eine dieser wahrscheinlich spezifisch menschlichen Funktionen, die hier stattfinden, ist die Fähigkeit zur Metakognition. Ein sehr spezielles Vermögen unseres Bewusstseins, nämlich die Fähigkeit, sein eigenes Denken zu beobachten, seine Wahrnehmung zu hinterfragen. Im Alltag bemühen wir diese Fähigkeiten, wenn wir uns fragen, ob wir etwas wirklich gesehen haben oder ausreichend informiert über ein bestimmtes Thema sind. Oder eben, ob wir wachen oder träumen. Ein Zusammenhang zwischen der Metakognition und Klarträumen war deshalb schon länger vermutet worden. Die Experimente von Filevich, die mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) diese Areale im Hirn ihrer Probanden untersuchte, brachte erstmals Klarheit: In der Klarträumer-Gruppe waren die Bereiche des frontopolaren Cortex voluminöser. Und während der Lösung metakognitiver Aufgaben zeigte die fMRT dort auch größere Mengen an Blutsauerstoff. Das ist ein Hinweis auf stärkere Aktivität.
Für Elisa Filevich steht deshalb fest, dass Klarträumer bessere metakognitive Fähigkeiten aufweisen, auch im Wachzustand. Ob sich diese Fähigkeiten trainieren lassen, müssen weitere Studien zeigen.
Ein Beitrag von Mike Sattler | Musik von _ghost: Reverie (small theme) unter CC BY 3.0