Testosteron als Aggressionshormon?
Landläufig soll Testosteron für Imponiergehabe und Aggressivität verantwortlich sein: Typisch „männliches“ Verhalten ist demnach aggressiver, weil bei Männern mehr Testosteron produziert wird als bei Frauen. Was Tierstudien bestätigten, steht bei Menschen aber schon länger in Frage. Verschiedene Studien zeigen, dass das Hormon zwar typisch „männliche“ Eigenschaften begünstigt, aber nicht unbedingt zu mehr Aggression führt. Der Mythos des Aggressionshormons hält sich aber trotzdem hartnäckig.
Streit im MRT
Wie das Hormon bei Frauen wirkt, wurde weitaus seltener untersucht. Wissenschaftler an der Uni Lübeck haben jetzt gezeigt, dass Testosteron bei Frauen nicht zu mehr Aggression führt. Im Gegenteil: Frauen mit höherem Testosteronspiegel reagierten sogar weniger aggressiv auf Provokationen.
Untersucht wurden in der Studie sowohl die Verhaltensebene als auch die Gehirnaktivität. Dafür wurde aggressives Verhalten in einem MRT (Magnetresonanztomograph) gemessen. Keine leichte Aufgabe: Die Wissenschaftler versuchten es mit einem Reaktionszeit-Wettkampf. Je ein Proband trat dabei gegen eine Mitspielerin aus der Forschergruppe an. Wer zuerst auf einen Zielreiz reagierte, gewann. Der Gewinner durfte nun den Verlierer mit einem unangenehmen und lauten Geräusch bestrafen. Wie laut das Geräusch war, konnten sie selbst bestimmen.
Nicht mehr, sondern weniger Aggression
Als Erstes zeigte sich: Eine Gehirnregion hat einen deutlichen Einfluss auf aggressives Verhalten. Je aktiver die sogenannte Amygdala war, desto stärker reagierten die Probandinnen im Test. Überraschend ist der Zusammenhang mit dem Testosteron. Je höher der Spiegel, desto geringer die Amygdala-Aktivität und desto geringer auch das aggressive Verhalten.
Das bestätigt andere Studien, die zu dem Ergebnis kamen: Testosteron fördert pro-soziales Verhalten. Eine Vielzahl jüngerer Studien zeichnet bisher noch ein unklares Bild von den Auswirkungen des Hormons. Mit jeder Studie nähern sich die Forscher aber der Wahrheit an. Die Wissenschaftler an der Uni Lübeck wollen in einem nächsten Schritt untersuchen, wie sich Hirnaktivität und Verhalten im emotionalen Erleben widerspiegeln.
Über die Studie hat detektor.fm-Redakteur Konstantin Kumpfmüller mit der Neurowissenschaftlerin Ulrike Krämer gesprochen.