Die Geschichte der Pathologisierung ist eine lange: 1982 bereiste Robert Peary den Nordpolarkreis. Bei Beobachtungen der indigenen Bevölkerung Grönlands diagnostizierte er vielen der dort lebenden Frauen eine Krankheit: Piblokto oder „Arktische Hysterie“. Die Symptome deckten eine große Bandbreite von Zittern bis hin zu starken depressiven Phasen ab.
Opfer mundtot machen
Heute werden Pearys Beobachtungen jedoch stark kritisiert. Der Vorwurf lautet, dass die Frauen eigentlich klassische Symptome einer Postraumatischen Belastungsstörung zeigten. Grund dafür war wohl die sexuelle und psychische Gewalt von Peary und seiner Crew. Die Diagnose Piblokto erfüllte jedoch ihren Zweck. Sie machte die betroffenen Frauen mundtot.
Solche Pathologisierungen von Frauen, Homo- oder Intersexuellen und anderen marginalisierten Gruppen gibt es in der Geschichte immer wieder. Die Medizin setzt den männlichen Körper als Norm voraus. Und bis heute lassen sich Krankheitsdiagnosen feststellen, die auch der Unterdrückung einer Gruppe dienen.
Im 20. Jahrhundert wurden tausende Frauen mit der Diagnose „Hysterie“ in Behandlung geschickt. Eine Krankheit, die so eigentlich nie existierte. Bis 1992 wurde Homosexualität als Erkrankung geführt und bis heute, werden mit der „Geschlechtsidentitätsstörung“ Menschen als krank erklärt, deren Problem oft eher eine Gesellschaft mit starrem Geschlechtsverständnis ist.
In dieser Folge des Forschungsquartetts widmet sich sich detektor.fm-Redakteur Jonas Junack dieser Pathologisierungspraxis. Mit Corinna Schmechel von der Humboldt Universität Berlin und Dr. Bettina Zehetner vom Verein „Frauen* beraten Frauen*“ spricht er über Praxisbeispiele und über die Frage, wie sich diese Strukturen aufbrechen lassen.