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Die Kisten sind gepackt und das neue WG-Zimmer oder die neue Wohnung bezugsfertig. Zwischen 21 und 24 Jahren ziehen die meisten Kinder in Deutschland von zu Hause aus.
Aus Elternschaft wird wieder Partnerschaft
Doch nicht nur für die Kinder ist der Auszug aus dem Elternhaus ein großer Schritt, auch für die Eltern selbst. Und während viele Eltern den Auszug ihrer Kinder mit Spannung erwarten, bleiben einige von ihnen traurig zurück.
Das „leere Nest“ verändert für die Eltern viel. Und zwar nicht nur strukturell, sondern auch sozial, emotional und psychisch.
Die Familientherapeutin Bettina Teubert kennt die Probleme solcher „Empty-Nest-Eltern“ gut. Sie hat sogar eine Selbsthilfegruppe für so genannte Empty-Nest-Moms gegründet.
http://www.youtube.com/watch?v=M6ijfrVCSxQ
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Das Interview zum Nachlesen:
Die Bezeichnung „Empty-Nest-Eltern“ ist ja eine schöne, neudeutsche Mischung aus Englisch und Deutsch. Was versteht man denn darunter?
Es sind die Eltern, die im leeren Nest sitzen. Wir haben also ein schönes Familiennest geschaffen und auf einmal fliegen die Kinder davon und zurück bleiben die Eltern. Ich habe lange nach einem solchen Wort gesucht, aber ich fand die so gestelzt, dass ich es einfach so übernommen habe.
Jetzt sitzen die Eltern eben in ihrem leeren Nest, die Kinder sind studieren oder machen eine Ausbildung. Was für Probleme kommen dann auf die Eltern zu?
Das erste Problem ist natürlich, dass die Eltern erst einmal alleine sind und gucken müssen: was machen wir denn jetzt miteinander, verstehen wir uns überhaupt noch, funktionieren wir noch als Paar? Dann fehlt da natürlich jemand im Familiensystem. Der ist einfach weg – also, der ist ja nicht richtig weg, er wird irgendwo immer noch da sein, aber man kann ihn halt nicht mehr als Puffer benutzen.
Das „Kinder aus dem Haus lassen“ markiert auch eine neue Lebensphase. Ist das immer eine Umgewöhnung? Muss man sich dann eine neue Aufgabe suchen?
Man muss nicht. Es ist natürlich anzuraten, sich etwas Neues zu suchen. Gerade für die Generation, die jetzt ihre Kinder ziehen lässt. Da gibt es noch viele Mütter, die noch bewusst auf Berufstätigkeit oder Karriere verzichtet haben – und da entsteht dann natürlich schon eine Lücke.
Wir stellen dann fest, wie viel Zeit wir dann doch für die „vermeintlich erwachsenen“ Kinder, die jetzt aus dem Haus sind, verwendet haben. Wir haben auf einmal wieder Zeit für Dinge, die immer hinten „runtergefallen“ sind. Manch einem fällt das ein bisschen schwerer und dem anderen fällt es leichter.
Jetzt kann ja jedes Kind diese Veränderung bei seinen Eltern beobachten. Meist, weil der Vater sich ein Fernsehzimmer einrichtet, wo früher das Kinderzimmer war oder die Mutter sich ein neues Hobby sucht. Das kann man natürlich belächeln, aber können daraus auch ernst zu nehmende Probleme entstehen?
Eltern können sich entweder in dieser Phase nochmal völlig neu sortieren und zusammenfinden, sie können mehr oder weniger getrennte Wege gehen oder sich auch ernsthaft trennen. Nicht wenige Paare trennen sich an dem Punkt, weil sie feststellen: Wir können hier vielleicht doch nicht mehr so miteinander, wie wir uns das mal vorgestellt haben. Es ist eine Lebensphase, die zu Ende geht und es kommt etwas Neues. Aber die Kinder verschwinden ja nicht. Dieser Generation ist es schon wichtig, auch weiterhin am Leben ihrer Kinder teil zu haben und ich glaube, das ist eine Qualität, die sich zur Generation davor verändert hat. Deshalb tragen diese Mütter auch etwas schwerer an dieser Last als zum Beispiel ihre eigenen Mütter.
Es war bei uns ja oft noch so – als wir zu Hause ausgezogen sind – brach der Kontakt wirklich ab und wir wären zum Beispiel auch nie wieder nach Hause gezogen. Heute ist das aber durchaus gängig, dass Kinder zwischendurch auch mal wieder Unterschlupf finden.
Ist das dann für beide Parteien eine Win-win-Situation?
Auch das ist natürlich zweischneidig. Es ist immer wunderschön, wenn die Kinder nochmal wiederkommen und alle Muttis freuen sich, wenn sie noch einmal in ihre Muttirolle schlüpfen dürfen. Es ist dann aber nicht einfach, weil das Kind geht dann auch wieder. Ich nenne das immer gerne das „Weihnachtsbaumphänomen“. Zu Weihnachten kommen viele Kinder nach Hause und alle freuen sich und dann sind die Kinder wieder weg und dann ist es wieder leer. So sehr man sich dann freut, diese Leere wird immer bleiben und man muss diese Leere natürlich irgendwie füllen. Man darf Kinder damit auch nicht über Gebühr belasten. Es wäre ja auch – glaube ich – sehr schlimm für die Generation der Kinder, wenn die gehen und dann merken: Oh, meiner Mutti und Papi ist das aber völlig egal, dass ich jetzt gehe und die freuen sich nur.
Ich denke, in gesundem Maß, ist es schön für Kinder zu sehen, dass sie einen wichtigen Platz im Leben ihrer Eltern haben.
Sie haben vorhin gesagt, dass bei der vorhergehenden Müttergeneration gab es das Phänomen noch nicht. Warum äußert sich das jetzt stärker?
Ich glaube nicht, dass es gar nicht vorhanden war, aber es war weniger ausgeprägt. Erstens glaube ich, dass in der Generation vor uns die Beziehung der Eltern noch mehr im Fokus stand. Die Paarbeziehung war noch wichtiger als sie heute oft ist. Und es ist natürlich so, dass sich prinzipiell die Beziehung zwischen Eltern und Kindern in der jetzigen Generation geändert hat. Die Wertschätzung gegenüber den Kindern war und ist der heutigen Elterngeneration viel wichtiger als der davor. In der Generation davor ging es mehr darum, die Kinder gut großzuziehen und „die machen dann schon ihren Weg“ . Damit war dann auch das Loslassen leichter.
Jetzt hat ein neuer Lebensabschnitt auch durchaus etwas Positives. Kann das auch gut für die Eltern sein, wenn die Kinder endlich aus dem Haus sind?
Es hat auch seine guten Seiten und diese guten Seiten merken die Eltern in der Regel auch. Es ist immer die Frage: Wie lange dauert es an? Wie gut kann ich meine Kinder begleiten? Wichtig ist – glaube ich – gerade für die Mütter, dass sie sehen, dass sie immer noch die Beziehung zu ihren Kindern aufrecht erhalten und dass diese Beziehung gut ist. Also, dass Kinder auch ihre Eltern an ihrem jetzigen Leben teilhaben lassen.
Das ist natürlich heute durch neue Medien wesentlich einfacher als früher und dann gelingt es Müttern auch viel eher die schönen Seiten zu sehen. Denn Mütter sitzen ja nicht nur traurig in der Ecke und weinen, sondern die haben diese beiden Gefühle. Auf der einen Seite ist natürlich diese Traurigkeit und auf der anderen Seite sind sie aber sehr stolz auf ihre Kinder, die jetzt ins Leben gehen und das ganz toll machen.
In diesem Widerspruch bewegt sich dieser – ich sag mal – „Gefühlscocktail“. Da ist es für Mütter manchmal wichtig, sich im Kreise von Gleichgesinnten zu bewegen und zu sehen: Ups, es geht nicht nur mir so. Es geht den anderen genauso.
Das machen Sie ja in Ihrer Selbsthilfegruppe – vor allem für Mütter. Was kommt da im Austausch heraus: was hilft den Eltern am meisten und wie kann man sich vorbereiten, nicht in ein Loch zu fallen, wenn die Kinder aus dem Haus sind?
Ich glaube, man sollte da einfach ganz langsam heran gehen. Der Punkt kommt, das wissen wir alle. Aber wenn es dann soweit ist, ist es doch ganz plötzlich und es entwickelt sich bei den meisten Müttern so: die Kinder werden älter und brauchen die Eltern weniger. Ohne, dass wir es merken, bereitet sich jeder auf diese Phase vor. Deshalb sind wir nicht gefeit davor, in dieses Loch zu fallen. In Deutschland haben wir keine Trauerkultur. Dass man den Müttern zusteht: Ey, ihr habt jetzt wirklich 20 Jahre eine tolle Arbeit gemacht, eure Kinder stehen gut da und ihr dürft jetzt einfach mal traurig sein. Das steht euch zu. Aber auch auf der anderen Seite die Zuversicht zu haben und die schönen Dinge zu sehen. Man hat wieder mehr Zeit, man hat wieder mehr Freiräume, man muss nicht mehr gucken und Rücksicht nehmen auf Schulferien oder fragen „Wann fahre ich in Urlaub“, sondern man darf einfach mal wieder für sich selbst entscheiden und das muss man lernen. Das hat man nämlich in 20 Jahren eigentlich verlernt.