In der letzten Aprilwoche 1916 verwandelt sich Irlands Hauptstadt Dublin in ein Kriegsgebiet. Irische Nationalisten bringen die Stadt am 24. April 1916 in ihre Gewalt, rufen die Republik Irland aus und erklären sie im gleichen Zug für unabhängig vom Vereinigten Königreich.
Die Antwort der überrumpelten Briten: 16.000 Soldaten Verstärkung, um Dublin wieder unter britische Kontrolle zu bringen. Die Innenstadt versinkt in Straßenkämpfen, der Osteraufstand (Easter Rising) hält fast eine Woche an. Artillerie und Heckenschützen zielen auf alles, was sich bewegt, dichter Rauch zieht über den Fluss Liffey, der die Stadt in Nord und Süd teilt.
Der Osteraufstand von 1916 hat sich vor genau 100 Jahren in Irland abgespielt. Zwischen Freiheitskampf, Selbstbestimmung und Terror: Ein wichtiges, aber nicht ganz unproblematisches Jubiläum für die Iren. Welches Vermächtnis hat der Osteraufstand heute in Irland? detektor.fm-Redakteur Lucas Kreling ist der Frage in Dublin nachgegangen.
Revolutionäre wollen Tatsachen schaffen
Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch ist Irland als Teil des British Empire von London aus regiert worden. Die Vertretung im Londoner Parlament ist nur protestantischen Iren möglich. Insbesondere die katholische Bevölkerung bleibt politisch entrechtet und fühlt sich im Stich gelassen nach humanitären Katastrophen wie den Hungersnöten ab 1845. Zum Zeitpunkt des Osteraufstandes sind die Konflikte zwischen katholischer und protestantischer Bevölkerung, zwischen irischen Nationalisten im Süden und königstreuen Unionisten im Norden fast dreihundert Jahre alt – und noch immer ungelöst.
Anfang des 20. Jahrhunderts dann steht ein politischer Meilenstein in Aussicht: Erstmals seit mehr als einhundert Jahren will London den Iren eine Selbstverwaltung mit eigenem Parlament zugestehen. Jahrzehntelang wurde für diese Home Rule gekämpft. Nun scheint die Autonomie zum Greifen nah. Doch dann bricht der Erste Weltkrieg aus, Home Rule wird ausgesetzt, irische Soldaten kämpfen auf den Schlachtfeldern in Belgien und Frankreich – für den König von England.
Es zeichnet sich ab, dass die eine irische Selbstverwaltung innerhalb des British Empire für die Radikalen im Land ohnehin nur ein unbefriedigender Kompromiss ist. Die Nationalisten stören sich daran, dass Irland trotz formeller Autonomie Teil des Empire bleiben muss. Die Protestanten in Nordirland sind dagegen aus ganz anderen Gründen skeptisch: Viele lehnen die Möglichkeit ab, nach dem Krieg von Katholiken regiert zu werden.
Osteraufstand: Dublin ist fünf Tage lang Kriegsgebiet
Nach langer Planung setzen sich am Ostermontag 1916 anderthalbtausend Rebellen in Dublin in Bewegung. Strategisch ausgewählte Punkte werden innerhalb von Stunden eingenommen. An einem dieser Punkte, dem General Post Office, rufen die Rebellen die Republik Irland aus – und verteilen die dazugehörige Unabhängigkeitserklärung gleich unter den Dublinern.
Während die einfache Bevölkerung auf den Osteraufstand noch eher zurückhaltend reagiert, gehören heute Kopien der Flugblätter mit der Unabhängigkeitserklärung zum Standardrepertoire jedes Pubs in Irland.
Während die Rebellen die Dubliner zum Widerstand aufrufen, holt London zum Gegenschlag aus: 16.000 Truppen werden innerhalb kürzester Zeit mobilisiert, unterstützt von schweren Waffen. In Dublin angekommen, machen die Streitkräfte kurzen Prozess. Die Rebellen werden aus ihren Stellungen gebombt, die Überlebenden gefangengenommen, die Anführer hingerichtet.
Offiziell sterben in der Woche des Osteraufstands fünfhundert Menschen, die Hälfte von ihnen Zivilisten, die ins Artillerie- und Kreuzfeuer geraten.
Der Osteraufstand selbst war überstürzt, zerstörerisch – und doch hat er in den Jahren danach bei den Iren den Wunsch heranreifen lassen, nicht einfach nur autonom zu sein, sondern wirklich frei. Dieser Aufstand hatte etwas Mystisches, Poetisches an sich, und auch wenn es aus militärischen Gesichtspunkten eine Niederlage war, war er der Ausgangspunkt für die spätere Unabhängigkeit meines Landes. – Marc Gallagher, Dozent für Irische Kultur in Dublin
Die Briten machen mit den Rebellen kurzen Prozess – unabhängig wird Irland trotzdem
Nach Ende des Weltkriegs werden die Rebellen des Osteraufstands von 1916 zu Märtyrern erklärt – Ikonen eines irischen Nationalismus, der ab 1919 erst in einen Unabhängigkeits- und dann in einen Bürgerkrieg mündet. Am Ende dieser Konflikte steht das geteilte Irland, das bis heute fortbesteht: Die unabhängige Republik im Süden und das bis heute britische Nordirland.
Im Nordirlandkonflikt, der die Insel bis 1998 in Atem hält, versuchen Organisationen wie die IRA (Irish Republican Army) durch Gewalt und Terror das zu vollenden, was sie 1916 begonnen sahen. Der Osteraufstand hat ein facettenreiches Vermächtnis: Zwischen politischem Neuanfang, Freiheitskampf, Teilung und Terror.