You will find the english version of the interview below.
Vor Wissenschaftlern können Sie Ihre politische Meinung nicht verstecken. Vor allem nicht vor solchen, die sich mit Neuropolitik beschäftigen. Denn die Gehirne von Konservativen und Liberalen unterscheiden sich, das haben mehrere Studien belegt.
Dafür sind Probanden in einen Hirnscanner gelegt und vor konkrete Aufgaben gestellt worden. In einem Experiment erhielten die Teilnehmer beispielsweise 20 Geldstücke. Sie sollten entscheiden, ob sie diese behalten oder als Wetteinsatz verwenden. Dabei konnten sie entweder ihren Gewinn verdoppeln oder alles verlieren. Wenn sie dann 40 Geldstücke erspielt hatten, ging das Spiel von vorne los: aufhören oder weiterzocken?
Ekelt Sie das? Konservativ!
Die beruhigende Nachricht zuerst: Allein vom Verhalten konnten die Forscher nicht auf die politische Haltung der Probanden schließen. Republikaner und Demokraten zeigten den gleichen Hang zum Risiko.
Wir können also nicht im Kasino in Las Vegas erkennen, welche politische Einstellung ein Menschen hat – aber sehr wohl bei der Gehirnaktivität. – Darren Schreiber, Politikwissenschaftler
Die Bilder aus dem Hirnscanner sind verräterisch. Die Forscher wussten bei 83 Prozent der Probanden, welcher Partei sie nahestehen. In einem anderen Experiment zeigte man den Probanden im Hirnscanner Bilder, die bei uns Ekel hervorrufen (aber rein gar nichts mit Politik zu tun haben). Von toten Tieren beispielsweise oder körperlichen Ausscheidungen.
Auch hier konnten die Wissenschaftler allein anhand der Aktivitätsmuster im Gehirn erstaunlich gut vorhersagen, ob die Probanden aus dem liberalen oder konservativen Lager stammten. Die Gehirne von Republikanern feuerten bei den ekligen Bildern viel stärker als die von Demokraten. Wie eklig die Probanden die Bilder bewerteten, hatte hingegen kaum Aussagekraft.
Neuropolitik: Allianzen ändern sich, Gehirne auch
Doch werden wir mit einer bestimmten politischen Einstellung geboren? Nein, meint Politikwissenschaftler Darren Schreiber. Nur etwa 40 Prozent unserer politischen Einstellung werden tatsächlich von unseren Genen bestimmt. Den größeren Teil haben wir selbst in der Hand. Denn unser Gehirn kann sich anpassen und wandeln.
Wie genau Wahlverhalten und Neurowissenschaften zusammenhängen, darüber hat detektor.fm-Moderator Christian Eichler mit Darren Schreiber gesprochen. Er ist Professor für Politik an der Universität Exeter in England und ein Pionier auf dem Gebiet der Neuropolitik.
The english version of the interview.
Das Gespräch zum Mitlesen
Sie waren der erste, der Hirnscanner eingesetzt hat, um die politische Einstellung von Menschen zu untersuchen. Bei einem Ihrer Experimente konnten sie nur anhand der Gehirnaktivität bei vier von fünf Probanden vorhersagen, für welche Partei er oder sie stimmt. Wie haben Sie das gemacht?
Das Ganze hat vor etwa 15, 16 Jahren angefangen, als ich gerade in Politik promoviert habe. Ich habe ein paar Arbeiten aus dem Jahr 1994 gelesen, also aus der Anfangszeit der Hirnscanner. Damals wurde zum ersten Mal verglichen, wie sich die Gehirn-Aktivität von Experten und Anfängern unterscheidet. Denn wenn ein Proband viel über ein Gebiet weiß oder eine Aufgabe lange übt, dann reagiert sein Gehirn anders auf die Aufgabe als bei jemandem, der das gerade zum ersten Mal macht. Beispielsweise, wenn Probanden Verben in einer Fremdsprache konjugieren. Dabei zeigen sich Unterschiede bei ihrer Gehirnaktivität zwischen dem ersten Versuch und nach einigen Übungen. Ich dachte, wenn das stimmt, dann kann man vielleicht auch Unterschiede zwischen Leuten sehen, die sich viel oder wenig mit Politik beschäftigen. Mein damaliger Mentor dachte, das sei ein wenig verrückt, aber ich dachte, da könnte was dran sein. Im Experiment haben wir dann gesehen, dass die Reaktionszeit der politikinteressierten Menschen sehr stark abwich von der Reaktionszeit der nicht an Politik Interessierten. Das war bereits ein Hinweis darauf, dass ihre Gehirne die politischen Informationen wirklich anders verarbeiteten. Ein paar Jahre nach dieser Studie erhielten wir die Möglichkeit, Daten aus einem Glücksspiel-Experiment neu zu analysieren. In diesem Experiment konnten die Probanden entweder 20 Münzen erhalten oder diese 20 Münzen als Wetteinsatz nutzen, um ihren Gewinn auf 40 Münzen verdoppeln. Diese 40 Münzen konnten sie dann wieder einsetzen und verdoppeln. Dieser Datensatz hat uns die Möglichkeit gegeben, zu schauen, ob Demokraten oder Republikaner beim Wetten andere Gehirnaktivitäten zeigten. Wir haben dabei herausgefunden, dass es keine Unterschiede im Verhalten gab. Wir können also nicht im Kasino in Vegas oder Monte Carlo erkennen, welche politische Einstellung ein Menschen hat. Aber man kann tatsächlich sehr starke Unterschiede in der Gehirnaktivität erkennen.
Bestimmte Gehirnbereiche sind bei Konservativen größer oder kleiner als bei Liberalen. Bedeutet das, dass bereits zu meiner Geburt feststeht, wo ich später auf dem Wahlzettel mein Kreuz machen werde?
Ganz und gar nicht. Das Buch, das ich gerade schreibe, heißt “Your brain is built for politics”. Und der wahrscheinliche Grund dafür, warum wir Menschen das Gehirn in dieser Form haben, ist der folgende: Dass es uns das Leben in unglaublich komplexen Koalitionen ermöglicht. Wir leben schon seit hunderttausenden oder sogar Millionen von Jahren so. Wenn Arten eine größere soziale Komplexität aufweisen, brauchen sie größere Gehirne. Das gilt für Primaten, aber es gilt auch für Hyänen, Delphine, Elefanten und ganz viele verschiedene Arten. Wenn sie eine höhere sozial-politische Komplexität aufweisen, haben sie größere Gehirne. Nach dieser evolutionären Logik würde es auch keinen Sinn haben, wenn unser Gehirn von Anfang an auf eine bestimmte Allianz festgelegt wäre. Der Grund für unsere großen Gehirne ist, dass wir in sozialen Gruppen leben – und in denen ändern sich Allianzen sehr schnell. Eine Argentinische Ameise erkennt Freund oder Feind an einem ganz einfachen Test. Sie ist darauf programmiert, ein Bündnis mit genetisch verwandten Ameisen einzugehen. Menschen hingegen bilden ständig wechselnde Koalitionen, genau wie Delphine, Elefanten oder Hyänen. Wir haben deshalb viel größere Gehirne, als unsere Körpergröße eigentlich nahelegen würde, damit wir solche komplexen Koalitionen bewältigen können. Ich bin der Meinung, dass wir darauf programmiert sind, nicht auf etwas programmiert zu sein. Das ist eine der großartigen Leistungen der Evolution beim Menschen. Das wir dieses unglaublich komplexe Gehirn haben, was es uns erlaubt, Koalitionen zu ändern.
Was hat denn einen größeren Einfluss auf mein Wahlverhalten: Die Biologie und die Gene oder meine Erziehung und mein Umfeld?
Es ist ein Mix. In Studien hat man sich eineiige und zweieiige Zwillingen angeschaut und sie mit anderen, entfernteren Familienmitgliedern wie Cousinen, Onkeln und so weiter verglichen. Dabei kam über alle Länder hinweg heraus: Es sind zu etwa 60 Prozent nicht-genetische Faktoren. Also sind etwa 40 Prozent genetisch bedingt. Weniger als die Hälfte. Es ist ganz lustig, wenn ich das einem Kollegen erzähle, einem sehr gebildeten Politikwissenschaftler, dann fragt der mich: „Was hälst du von dieser ganzen Genetiksache?“ Ich sage dann: „Naja, die Beweislage ist ziemlich eindeutig, der Einfluss liegt bei etwa 40 Prozent“. Und er sagt dann: „Ja, aber wir wissen ja, die Gene bestimmen nicht alles,“ und ich sage: „Naja, 40 Prozent sind ja auch weniger als 100 Prozent. Aber die Biologie ist eben auch ein Faktor.“ Ich glaube, es ist schwer für uns zu begreifen, dass es eben mehrere Faktoren gibt und die Biologie einer davon ist. Die Leute glauben dann, dass wir auf etwas programmiert sind, dass bestimmte Einstellungen festgelegt sind. Aber nochmal: Wir sind darauf programmiert, nicht auf etwas programmiert zu sein.
Eine andere Gruppe von Forschern hat herausgefunden, dass die Gehirne von Konservativen stärker auf Ekel erregende Bilder reagieren. Wie erklären Sie sich das?
Ja, es gibt einen gewissen Grad an Prädisposition. Die Leute zeigen eine Tendenz, in gewisser Weise auf etwas zu reagieren. Das haben wir auch in dieser Glücksspielstudie gezeigt. Wir konnten mit 83 Prozent Genauigkeit vorhersagen, ob jemand liberal oder konservativ war. Die Studie mit den ekel-erregenden Bildern kam ein paar Jahre später heraus und hat sogar mit 95-prozentiger Genauigkeit die Partei-Zugehörigkeit vorhergesagt. Aber das heißt nicht, das unsere Gene das bestimmen. Es ist ja so: Unsere Gehirne verändern sich als Reaktion auf unsere Umgebung und unser Verhalten. Wenn Menschen süchtig sind, dann haben sie vielleicht eine Prädisposition dafür, aber wenn sie dann ihrer Sucht nachgeben, scheint das auch ihr Gehirn zu verändern. Ein berühmtes Beispiel sind die Taxifahrer in London. Während sie sich auf den Taxitest vorbereiten und die Karte von London studieren, wächst und wächst ihr Hippocampus. Das ist der Teil des Gehirns, der beim Erinnern eine Rolle spielt. Das Gehirn verknüpft sich neu. Auch bei Soldaten, die eine Fremdsprache lernen, verändern sich die Hippocampi. Also nochmal: Wir sind darauf programmiert, nicht programmiert zu sein. Aber wir können unser Gehirn verändern, indem wir Neues lernen.
Der Wahlkampf in den USA ist jetzt in vollem Gange. Wie aufregend ist diese Zeit jetzt für Sie als Forscher der Neuropolitik?
Es ist eine sehr faszinierende Zeit. Ein Haupt-Thema meiner Arbeit ist ja, herauszufinden, wie das Gehirn mit unglaublich komplexen Koalitionen umgeht. Menschen, die schon seit langer Zeit sehr engagierte Republikaner sind, die merken auf einmal, dass sie den republikanischen Kandidaten nicht unterstützen. Das ist faszinierend. Die heutige republikanische Partei ist ja auch ganz anders als die republikanische Partei von vor vier Jahren, die wiederum ganz anders ist als die von Ronald Reagan oder die von Abraham Lincoln. Was wir sehen sind diese sich ständig verändernden Dynamiken, die es von uns verlangen, so unglaublich komplexe Gehirne zu haben.