Verzweiflung bei Unlust
Sexuelle Unlust ist früher ‚Frigidität‘ genannt worden. Frigide kann mit kalt oder kühl übersetzt werden, weshalb auch der Begriff „Geschlechtskälte“ Verwendung fand. Eine verständnislose Wortwahl, mag man meinen. Denn die mangelnde Lust einfach mit emotionaler Kälte abzutun und nicht tieferliegende Probleme zu vermuten, kann sich in Beziehungen schnell zum Problem auswachsen. Mangelndes Verständnis muss dabei jedoch nicht nur vom Partner kommen. Auch die betroffene Person selbst kann im Angesicht ihrer offensichtlichen Lustlosigkeit schnell verzweifeln.
Um der mangelnden Lust zu begegnen, kann das Gespräch mit dem Partner gesucht oder ein Paartherapeut konsultiert werden. Oder aber man greift zum Medikament. Weitläufig bekannt ist dabei Viagra für den Mann. Sozusagen rein mechanisch wird dabei durch erhöhte Blutzufuhr in die männlichen Genitalien eine Erektion ermöglicht, die sonst ausgeblieben wäre. Was bisher dem Mann zur neuen Lust verhalf, gibt es jetzt auch für die Frau: Die Lustpille.
Addyi: Austricksen der Psyche
Die Pille mit dem Namen Addyi ist in den USA nach langer Diskussion zugelassen worden. Es als „Viagra für die Frau“ zu bezeichnen wäre jedoch falsch. Denn tatsächlich funktioniert die Lustpille ganz anders als Viagra. Anstatt auf der rein körperlichen Ebene zu wirken, arbeitet die Pille mit der Psyche. Hormone, die die Lust steigern sollen werden gezielt ausgeschüttet. Somit funktioniert Addyi mit dem Wirkstoff Flibanserin wie ein Psychopharmaka. Ebenso wird es auch eingenommen: Nicht nur kurz vor dem Sex, sondern dauerhaft. Tag für Tag.
Der Vergleich zwischen Viagra und Addyi hinkt also gewaltig. Die Manipulation der Lust erfolgt nicht dadurch, das dem Körper ein Schnippchen geschlagen wird, sondern durch das Austricksen der Psyche. Eigentlich hat man keine Lust, und zwingt sich doch dazu.
Frauen wollen Lust haben
So dramatisch muss es selbstverständlich nicht gesehen werden. Denn immerhin wollen viele Frauen, die zu solchen Mitteln greifen würden, ja durchaus Sex haben. Dabei ist es egal, ob für sich selbst oder um dem Anspruch des Partners zu genügen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob das simple Umformen der Psyche den Kern der Unlust besser bekämpfen kann, als es womöglich eine therapeutische Beratung tun würde. Immerhin können tiefliegende Zweifel und Ängste der Auslöser von mangelnder Lust sein.
Fraglich bleibt auch, welchen gesellschaftlichen Einfluss die Möglichkeit von Lust auf Knopfdruck haben könnte. Schließlich vermittelt die Lustpille eine klare Botschaft: Wer immer noch keine Lust auf Sex hat, ist selbst Schuld. Sex rückt durch medikamentösen Einfluss immer weiter in unsere Kontrolle, womit sich der Druck auf das Individuum erhöht, sowohl von der Gesellschaft, als auch vom Partner und von einem selbst. Wird damit der Anspruch auf perfekten Sex in die Höhe geschraubt?
Wer keine Lust auf Sex hat, ist ab sofort selbst Schuld?
Auch Vergleiche mit der sexuellen Befreiung der Frau durch die Anti-Baby-Pille in den 1960er Jahren sind mit Vorsicht zu genießen. Denn immerhin hat die Pille einen ungewollten, biologischen, rein körperlichen Effekt entschärft. Das Denken und das Fühlen durch die Anti-Baby-Pille zu beeinflussen, ist dabei ein Nebeneffekt. Die Lustpille für die Frau jedoch, macht sich diesen Effekt zum Hauptziel.
Wie sich die Lustpille für die Frau auf unser Verständis von Sex auswirken könnte und was es mit der menschlichen Lust eigentlich auf sich hat, darüber hat detektor.fm-Moderatorin Teresa Nehm mit dem Sexualwissenschaftler Jakob Pastötter gesprochen. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung.
Redaktion: Richard Hees