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Bild: Christof Stache | AFP

Kommentar: Deutsche Willkommenskultur

Wo bleibt der Mehrwert?

„Willkommenskultur“ ist das Wort der Stunde: Offene Arme und Herzen für Flüchtlinge von Hamburg bis München. Deutschland, das Land der Helfer. Doch ist das echte Hilfsbereitschaft oder Selbstbeweihräucherung? Ein Kommentar von Fanny Kniestedt.

Begrüßungskomitees an Bahnhöfen, riesige Spendenbereitschaft und offene Arme: Deutschland wird von einer Welle der Hilfsbereitschaft überrollt. Von der Fußball-Nationalmannschaft bis zum Kleingärtnerverein ruft das ganze Land „Refugees Welcome!“.

Die Deutschen gefallen sich in der Rolle der Barmherzigen und die internationale Presse spendet Applaus. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat jüngst gesagt, dass das große Engagement der Deutschen sie „stolz auf unser Land“ macht. Doch was steckt hinter der vielgelobten Willkommenskultur? Ein Kommentar von detektor.fm-Redakteurin Fanny Kniestedt.

Kommentar | Willkommenskultur- Hilfsbereitschaft oder Selbstdarstellung 02:36

Der Kommentar zum Mitlesen

Exportschlager „Willkommenskultur“

Erst dachte man, die momentane Situation bringt wieder nur die braune Soße zutage, die nicht weiß wohin mit ihren Minderwertigkeitskomplexen, um diese dann mit Zerstörungswut zu kompensieren. Aber nein. Es gibt auch das andere Deutschland! Die hilfsbereiten Deutschen. Die „offiziell“ Notleidenden geben uns einen Anlass, ein neues Wort zu erfinden: „Willkommenskultur“. Die BBC hat es sogar als „Wort des Jahres“ vorgeschlagen.

Endlich können wir uns mal wieder positiv produzieren. Es wurde ja auch Zeit nach der Griechenlandkrise und dem Vorwurf der Alleinherrschaft über Europa.

In München musste die Polizei sogar Helfer weg schicken. In Leipzig muss die Spendenannahme aus Überfüllung temporär schließen. Ich meine, da kann man ja wohl zu recht ein bisschen stolz sein, oder? Aber ist das Hilfsbereitschaft oder Selbstbeweihräucherung? Ist das Altruismus oder Egokrauln? Und auf der anderen Seite brennen ja auch trotzdem noch Turnhallen.

Sowohl in die eine, wie auch in die andere Richtung geht es in die Extreme. Und warum? Weil das ganze Thema emotional aufgeladen ist.

Flüchtlinge als Projektionsfläche

Wem nützt es, wenn man am Bahnhof Kuscheltiere abgibt und applaudiert und danach zu KIK geht? Wenn wir unseren Sold getan haben, brauchen wir nicht weiter nachdenken.

Dann fällt es leichter, sich nicht wirklich mit seiner eigenen Rolle auseinanderzusetzen, die man zum Beispiel als Konsument spielt. Oder mit seinen Assoziationen, die sich, oft gar nicht böswillig gemeint, abspulen, wenn man von „den Türken“ spricht. Und so eben letztlich nicht der Mensch, sondern „der Flüchtling“ als solcher als  Projektionsfläche herhalten muss.

Vor allem aber verhindert es Augenhöhe. Das Bild des „guten, großzügigen Westlers“ und des „passiven, hilflosen Anderen“ ist ein seit dem Kolonialismus immer wieder festgetretenes Verhältnis. Ein Verhältnis, dass durch sehr unterschiedliche Methoden gefestigt worden ist. Aber immer war und ist sehr eindeutig, wer hier wem gibt  und wer nimmt.

Dabei ist die momentane „Willkommenskultur“ besonders paradox und gefährlich, weil sie so tut, als ob. Und dadurch sehr schwer überhaupt zu erkennen ist, dass gut gemeint auf lange Sicht vielleicht eben genau das nicht ist: nämlich gut gemacht.

Wichtige Fragen bleiben ungestellt

Wenn jedoch diese „Willkommenskultur“ dazu beiträgt, in Stein gemeißelte Konzepte zu hinterfragen, dann erst bringt sie auch den Geflüchteten etwas. Und vor allem uns als Gesellschaft. Wenn sich dadurch Fragen ergeben wie: Ist legal gleich gerecht?

Sind Fluchthelfer Kriminelle? Wieso entscheiden wir, wer guter und wer böser Geflüchteter ist? Und welchen Anteil tragen wir daran, dass Menschen gezwungen sind, sich andere Alternativen zu suchen? Wo sind wir systemisch zu unflexibel? All diese Fragen, die letztlich tatsächlich mit uns zu tun haben, sollten als Mehrwert aus der jetzigen Situation gezogen werden. Dann erst entsteht eine echte Willkommenskultur.

Redaktion: Fanny Kniestedt

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