Die Frage ist nicht mehr „ob“, sondern „wie“: wie stark die AfD in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg in den Landtag einzieht, wenn kommenden Sonntag gewählt wird. Ein Blick in die Talkshows, Leitartikel und Kommentarspalten zeigt: die Frage, wie es soweit kommen konnte, bleibt nicht nur ein Dauerbrenner; sie scheint für viele auch bis heute nicht wirklich beantwortet.
Wie umgehen mit den Rechtspopulisten und der Neuen Rechten? Antworten auf diese Frage verspricht Stefan Petzner. Er war Pressesprecher und Wahlkampf-Stratege von Jörg Haider. Nach Haiders Tod 2008 wurde er sein Nachfolger in der FPÖ-Abspaltung BZÖ. Sein Buch heißt „Haiders Schatten. An der Seite von Europas erfolgreichstem Rechtspopulisten“.
Warum das Buch die versprochenen Antworten schuldig bleibt, das aber noch das geringste Problem ist: Marcus Engert hat „Haiders Schatten“ gelesen.
„Haiders Schatten“ – die Kritik zum Mitlesen
Manchmal, da geht’s noch mit ihm durch. Dann erzählt Stefan Petzner in Interviews, als er das erste Mal an Haiders Grab stand, sei ein Regenbogen erschienen – und er habe das als Zeichen gesehen, dass Haider das Buch O.K. fand. Das Buch: gemeint ist „Haiders Schatten“, Untertitel: „An der Seite von Europas erfolgreichstem Rechtspopulisten“.
Zum Glück ist nicht das ganze Buch derart gefühlsduselig. Aber weite Teile des Buches sind sind es. Da möchte man schon nach Seite 36 erstmal an die Luft, wenn Stefan Petzner beschreibt, wie er als Junge vom Land – mittelmäßige Noten, Klassenaußenseiter, stotternd – die Entscheidung fasste, in die Politik zu gehen:
Mein Vater saß in seinem Couchsessel und ich auf der Ofenbank direkt in seinem Rücken. „Weißt du, was ich mir wünsche?“, sagte er, mitten aus dem Nichts? (…) „ich wünsche mir, dass einmal einer meiner Söhne im Nationalrat sitzt“ (…). Ich schwieg. Ich antworte nur innerlich: Ja Papa, ich werde einmal dort sitzen. Das verspreche ich dir.
Im Folgenden erfährt man dann, wie der schüchterne Bauernbub‘ von der großen Politik träumt, den Haider kennenlernt, mit 22 dessen Berater und später sein Spin Doctor wird. Es folgen Kapitel mit Tipps zum Umgang mit Rechtspopulisten und schließlich zu Haiders Tod. Aufbau schlüssig, Inhalt: leider mangelhaft.
Die versprochenen Einblicke entpuppen sich als Binsenweisheiten
Petzners Buch verspricht Einblicke in das Innenleben einer rechtspopulistischen Partei und Tipps zum Umgang mit Rechtspopulisten. Nun, wer sich damit noch so gar nicht auseinandergesetzt hat, oder Angst davor hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, für den mag das stimmen. Der Rest dürfte angesichts der Fülle von Allgemeinplätzen eher übellaunig werden. Wenig originelles, alles x-mal geschrieben und gesagt. Dieses Kapitel enthält vieles, nur nicht die angepriesenen „Geheimrezepte“.
Man fragt sich, warum dem Autor im Lektorat dieser Exkurs nicht ausgeredet wurde. Dann hätte man sich auch gleich der hölzernen, unechten Sprache und mangelhaften Stilistik annehmen können. Aber kommen wir zum zweiten Versprechen des Buches: „Haiders letzte Geheimnisse“. An brisanten Enthüllungen erfahren wir das nachfolgende:
- Haider habe gern teure italienische Anzüge getragen: „Meistens borgte er sie aus“. Und: „Die Rechnung ging an die Partei“.
- Haider habe selbst Leserbriefe geschrieben, die seien aber angeblich furchtbar schlecht gewesen.
- Und: Haider habe – wie andere Politiker auch – Geld von Libyens Diktator Gaddafi bekommen: mehrmals mehrere hunderttausend Dollar in Bar. Die habe er aus Geldwäsche-Gründen in kleinen Beträgen auf Banken verteilt. Und eine Ölquelle, die habe der Gaddafi dem Haider auch geschenkt.
Das mag neu sein, oder auch nicht: aber wenn das Haiders letzte Geheimnisse waren, dann lebte der Mann ein recht transparentes Leben. Schon interessanter sind da die kleinen Puzzlesteine, die Petzners Buch dem Bild Haiders hinzufügt, das wir kennen
Haider als konfliktscheuer Narzisst
Es entsteht das Bild eines Narzissten auf der Suche nach Anerkennung und Applaus. Eines im Grunde eher konfliktscheuen, zerbrechlichen Mannes, der sich perfekt auf sein Gegenüber einzustellen vermochte, immer eine Rolle spielte, und sich am Ende in all seinen Rollen irgendwie selbst verlor. Hier hat Petzner durchaus feinsinnig beobachtet. Ein neues Bild von Haider aber, ein Umschreiben der Geschichte: das geschieht nicht. Und so kippt das Ganze leider schnell in eine Art persönlicher Rechtfertigung Petzners:
Pressesprecher des Mannes zu sein oder auch nur gewesen zu sein, der sich schon den Vergleich mit Adolf Hitler gefallen lassen musste, war so ähnlich, wie ein Hakenkreuz-Tatoo auf der Stirn zu tragen. Diese Vorstellung widerstrebte mir zutiefst, zumal ich mich in der liberalen Tradition meines Vaters sah und keinesfalls im nationalen Rechtsaußen-Lager. (…) Haider tat als Rechtspopulist einfach, was funktionierte, und das weitgehend ideologiebefreit. Wenn die Koketterie mit dem Nationalsozialismus funktionierte und ihr Effekt gerade in seine Strategie passte, war sie ihm recht. Ich bewunderte gerade diesen pragmatischen Umgang mit der Provokation (…).
Gelebte kognitive Dissonanz
Das Prinzip ‚Da steht jemand, wofür ich nicht stehen will. Aber dass er genau das tut, bewundere ich’ – das ist gelebte kognitive Dissonanz auf ganz hohem Niveau. Und so zeichnete Stefan Petzner, der ja eigentlich ein Liberaler sein wollte, später auch für ebenjene Anti-Ausländer-Kampagne verantwortlich, die „SOS Mitmensch“ noch 2015, also sieben Jahre später, als „die niederträchtigste“ bezeichnete. Petzners Einlassung dazu lässt zwar jedes Problembewusstsein vermissen, aber ist insofern wenigstens konsequent:
Es stimmt, dass ich anders handeln würde, wenn ich heute noch einmal in die gleiche Situation käme. Aber nicht wegen irgendeiner Form der Läuterung, sondern weil ich glaube, dass sich in diesem Bereich die Grenzen verschoben haben. Die Menschen sind gegenüber dem Tun von Politikern viel kritischer und sensibler geworden.
Das Denkmuster: ‚Wichtig ist, wie es bei den Leuten ankommt: Das Echo ist wichtiger als der Ruf.’ Es ist dieses fast schon traurige Fehlen jedweden Rückgrats, das einen ein wenig ratlos und fast schon wütend zurücklässt. Ratlos, weil schwer nachvollziehbar, wie man sich selbst so egal sein kann. Wütend, weil Petzner dann eben doch noch einen oben drauf setzt, und die Frage, warum er das Buch dann überhaupt geschrieben habe, damit beantwortet, es bräuchte wohl seinen Rat, denn „die Demokratie“ bekomme es scheinbar von alleine nicht hin:
Ich habe mich nie von meiner politischen Vergangenheit distanziert und werde es auch weiterhin nicht tun. Denn populistische Parteien können natürliche Bestandteile eines gesunden politischen Biotops sein. Sie sind nicht nur ungefährlich, sie sind sogar ein Gewinn für die Demokratie, wenn, ja wenn die anderen Parteien nur richtig mit ihnen umzugehen wüssten. Das ist ein zweiter Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe: Mein steigendes Unbehagen über das massive Unvermögen genau dazu (…).
Mit anderen Worten: nicht die Populisten sind das Problem, sondern wir. Wir mit unserer schwachen Demokratie. Wir haben’s vermasselt. Blame the Victim.
Man muss Stefan Petzner zugute halten: mit Schmutz schmeißt er nicht. Das wäre ein leichtes gewesen und hätte noch mehr Aufmerksamkeit erzielen können. Trotzdem: man wird diesem Buch mit dem Titel „Haiders Schatten“ nur dann etwas abgewinnen können, wenn man sich weniger für Haider oder für Rechtspopulisten, sondern für die Figur Stefan Petzner interessiert.