Ein schmaler Grat
Da, wo früher der Strom für London produziert wurde, hängt heute eine rostende Turbine von der Decke. Fortwährend dreht sie sich, folgt einem eigenen Rhythmus, Tentakeln wachsen aus ihr heraus und eine fleischfarbene Flüssigkeit tropft ununterbrochen auf aufgespannte Stofffetzen, die Künstlerin nennt sie „Skins“. Wie Hautfetzen hängen bereits verkrustete Textilien von der Decke. Sind es die durchtränkten Kleidungsstücke der früheren Arbeiter des ehemaligen Ölkraftwerks oder gar Teile ihrer geschundenen Körper? Mit ihrer Installation „Open Wound“ in der Turbinenhalle der Tate Modern in London kreiert die südkoreanische Künstlerin Mire Lee ein weiteres Wesen, dessen Logik sich nur schwer ergründen lässt.
Die Reaktionen auf Mire Lees Werke sind sehr unterschiedlich, schwanken oft zwischen Ekel und Mitleid. Silke Hohmann beschreibt „Open Wound“ als seltsam körperlich und organisch. Die Essenz von Ekel, so beschrieb es die Literaturtheoretikerin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva, entspringt dem, was uns nahe ist. Mit diesem Gedanken spielt Mire Lee in ihrem Werk.
Faszinierende Treffen
Im Schinkel Pavillon in Berlin trafen Lees Werke 2021 auf Kreationen des Schweizer Künstlers HR Giger, der vor allem für das Kostüm- und Szenenbild von Ridley Scotts Science-Fiction-Horrorfilm „Alien“ (1979) bekannt ist. Ein Jahr später hauchte Lee ausgedienten Betonmischern neues Leben ein. In ihrer Ausstellung „Look, I’m a fountain of filth raving mad with love“ im Zollamt MMK in Frankfurt am Main setzte sie sich mit menschlichen Abgründen auseinander.
In dieser Folge von „Kunst und Leben“, dem Podcast in Kooperation mit dem Monopol-Magazin, spricht detektor.fm-Moderatorin Aileen Wrozyna mit Silke Hohmann vom Monopol-Magazin. Sie war bei der Eröffnung von „Open Wound“ in London dabei und hat Mire Lee im Vorfeld in Berlin getroffen.
Die Installation„Open Wound“ von Mire Lee in der Turbinenhalle der Tate Modern in London könnt ihr noch bis zum 16. März 2025 besichtigen.