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Album der Woche: Jamaica – No Problem

Musik ohne Synthesizer. Ein Ansatz, der vor ein paar Jahren niemand aus den Socken gehauen hätte. Heute aber betritt die Band Jamaica damit einen fast schon verwaisten Pfad und schafft es, sich mit ihrem Debütalbum „No Problem“ und dessen Classic-Rock-Paradigmen in die Elektro-Disco zu schummeln.

Was ist nur mit dem Gitarrensolo passiert? In den 80ern abgöttisch zelebriert, in den 90ern dank lustlosem Grunge-Geschrammel etwas vernachlässigt, fristet es heute ein jämmerliches Dasein. Doch es gibt einen Lichtblick: Ein französisches Duo, das sich Jamaica nennt und für die Wiederauferstehung der Königsdisziplin des Rock’n’Roll sorgt – wie passt das zusammen? Erklärungsversuche von Bandmitglied Antoine Hilaire:

Das war ein Statement. Wir wollten eine großspurige Platte machen, denn wir mögen Gitarrensolos, aber haben es nicht geschafft in jedem Song eins unterzubringen. Manche Stücke brauchen keins. The Police und Queen waren da ein großer Einfluss während der Aufnahmen. Das sind die offensichtlichen und bewussten Einflüsse die wir im Kopf hatten. Wir wollten zu der Zeit eine wirklich eingebildete Platte machen. Vier Typen im Studio, da riecht es und man trinkt Tequilla und irgendwann schreit man: „Yeah! Fette Gitarren.“


Die Jungs von Jamaica lieben das Spiel mit Testosteron-geschwängerten Rock-Klischees, auf musikalischer wie auf textlicher Ebene. Don’t hesitate, she’s just a girl trying to give you a hand heißt es in einem Song. Dazu gesellen sich glasklare Akustik-Gitarren, trockene Bassläufe, klassische Rock-Riffs, übertrieben komprimierte Drums und eben jene sägend-bratzigen Gitarrensoli. Dennoch ist der Wille zum einfachen Pop Vater des Gedankens – selbst der längste Song des Albums ist nach 3:35 abgefrühstückt. Jamaica sind somit gewissermaßen die Schnittstelle zwischen AC/CD und Phoenix. Verantwortlich für den großspurigen Sound sind Xavier de Rosnay von Justice und Peter Franco aus dem Daft Punk-Umfeld. Beide wurden unter der Bedingung angeheuert: Es dürfen keine Synthesizer benutzt werden.

Das ist für sie wie Ferien von ihrer eigenen instrumentalen Musik. Deshalb wollte auch Xavier das Album produzieren. Er sagte: „Es gibt Instrumente, Vocals, Gitarrensolos und Pop-Songs. Ich will das machen!“ Außerdem ist das eine andere Facette von ihm, welche die Leute nicht kennen. Er hört mehr Pop als elektronische Musik.

Der Einfluss von Justice und Co ist deutlich hörbar. Trotz des organischen Gitarre-Schlagzeug-Bass-Sounds meint man beim oberflächlichen Hören von Jamaica, es würde einem eine schmissige Synthie-Dance-Nummer aus dem Hause Ed Banger entgegenbrettern. Folglich kam es schon zu den vorprogrammierten Missverständnissen hinsichtlich der Live-Besetzung der Band.

Die Leute sollten keine Typen hinter Plattenspielern erwarten. Manche Leute sagen: „Wir würden euch gerne buchen!“ – „Ok, kein Problem!“ Dann sagen sie: „Ok, wir haben zwei Plattenspieler und zwei CD-Player.“ – „Hast du dir die Songs angehört?“ Sie sagen dann: „Ja.“ – „Habt ihr gehört, dass es Bass, Gitarre und ein Schlagzeug gibt?“. Und dann: „Oh, wirklich?“ Die Leute sollten eine kraftvolle Rock-Show erwarten und kein Techno.“

Einen ersten Eindruck dieser Rock-Show kann man sich im Video zu Short And Entertaining verschaffen, für das man mit Igor Cavalera den ehemaligen Sepultura-Schlagzeuger gewinnen konnte. Auch hier werden Rock-Klischees clever überspitzt. In Form und Attitüde erinnert das an Justice, die sich live gerne mit ihren Plattenspielern vor einer riesigen Verstärkerwand präsentieren und damit die Genre-Stereotypen von Rock und Dance ad absurdum führen.

Vor ihren musikalischen Ergüssen als Jamaica haben die beiden Franzosen in normalen Angestellten-Verhältnissen gearbeitet. Der Alltag im Job und der daraus resultierende Zorn und Groll waren Antrieb für viele der Songs auf No Problem.

Du musst einen beschissenen Job machen, aber eigentlich willst du den hinwerfen und machen was du willst. Oder du hast eine Freundin und bist ein Arsch zu ihr. So ist das alltägliche Leben. Vielleicht ist das ein trauriges Portrait von unseren jungen Leben, aber so sieht es aus. Den Job zu schmeißen ist ganz einfach. Du gehst zwei Tage nicht hin, dann feuern sie dich und du bekommst Arbeitslosengeld.

Mittlerweile haben die zwei wieder einen Job – als Vollzeit-Musiker. Und auf der anstehenden Welt-Tournee dürfte dann wohl etwas mehr rausspringen als ein bisschen Arbeitslosengeld.

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