Manch einer mag sich wundern über unser Album der Woche. Schließlich läuft Devotion von Jessie Ware bei dem einen oder anderen schon seit geraumer Zeit hoch und runter. Auch auf der detektor.fm-Playlist ist die Musikerin aus London schon lange keine Unbekannte mehr. Ihr Debütalbum Devotion erscheint in Deutschland jedoch erst morgen offiziell auf CD und Schallplatte. Im Gegensatz zum Rest der Welt, da gibt’s die Scheibe schon seit August.
Dieses Fallbeispiel bestätigt leider die Regel. Denn durch einen Bürokratie-Irrsinn der Musikindustrie kommen die Alben in Deutschland meist unabhängig vom Rest der Welt raus. So gehen nicht nur Kunden und Werbe-Etats flöten, sondern auch die Medien haben wenig Lust über Sachen zu sprechen, die fast schon weichgekocht wurden. Im Fall von Jessie Ware machen wir das aber sehr gern. Denn ihr Debüt Devotion zählt zu den großen Popentwürfen in diesem Jahr.
In Großbritannien gefeiert als die Beyoncé der Insel, ist 2012 ganz klar das Jahr der Jessie Ware. Dabei ist ihre Geschichte schnell erzählt: Angefangen hat sie als Backgroundsängerin von Indie-Spezi Jack Peñate, traf auf Tour dann auf Sampha und Sbtrkt und machte mit den Jungs ein paar Tracks. Auch House-Shooting-Star Julio Bashmore war begeistert und bot sich als Produzent an. Kurze Zeit später war Material für ein ganzes Album fertig und ein Deal mit einem Major-Label gab’s quasi gleich mit.
Mitte der Achtziger, kurz bevor Phil Collins zum Superstar wurde, spielten Genesis auf Invisible Touch den reinsten Pop der Musikgeschichte. Der war vollgestopft mit Emotionen, aber ganz ohne großspuriges Pathosgehabe. Genau das schafft jetzt auch Jessie Ware, nämlich den Spagat zwischen Harmonie und Kitsch, im Gegensatz zum Solo-Phil Collins.
Ware setzt da an, wo die Story dem Song die Melodie raubt und biegt rechtzeitig wieder ab in Richtung Underground, wo es doch zu schmalzig werden könnte. Dabei klopft Ware an sämtlichen Genretüren, die Pop so zu bieten hat. Da ein bisschen House, hier ein wenig Folk, dort eine Brise Hip-Hop. Als wir uns beim Label nach ihr erkundigten, konnte unser Gegenüber Jessie Ware selbst keinem Genre zuordnen. Damit trifft sie unbewusst genau den Musik-Geschmack unserer Zeit. Melodien und Harmonien sind wichtiger als Genrezugehörigkeit. Musikstile ohne Konventionen, jeder hört alles, nichts ist mehr peinlich und alles ist möglich.