Schon die ersten paar Takte des Albums The Salted Air von Nadine Khouri reichen aus, um einen in ihren Bann zu ziehen. Khouris tiefe, klare Stimme scheint aus einer anderen Welt herüberzuwehen, geisterhafte Traumlandschaften tauchen vor dem inneren Auge auf.
Elvis und die Beatles
Khouri selbst ist gar nicht geisterhaft: ihre langen dunkelbraunen Haare trägt sie offen, im Gesicht ein sympathisches, etwas schüchternes Lächeln, ihre Fingernägel sind rot lackiert. Als Kind habe sie sich das Gitarrenspiel selbst beigebracht, erzählt sie.
Mein Vater ist sehr musikalisch, er hat in den 60ern Schlagzeug gespielt, als Hobby. Meine Mutter hat Klavier gespielt. Wir hatten zwar keine Instrumente zu Hause, aber wir haben viel Rock‘n‘Roll gehört. Meine Schwester tanzt und mein Bruder macht auch Musik, ich hab als Teenager angefangen, Gitarre zu spielen.
Mit 18 zieht Khouri nach New York und studiert dort Englisch und Filmwissenschaften. Sie schreibt nebenbei Songs und hat erste Auftritte in der Antifolk-Szene der Stadt. Ihre erste EP A Song To The City erscheint 2010 und ist ein Liebesbrief an das Reisen und Unterwegssein.
Zu der Zeit habe ich Mazzystar und Sparklehorse entdeckt, und später Low, Talk Talk und sowas. Diese Bands machen sehr atmosphärische Musik, das hat mir gefallen. In meinen eigenen Songs wollte ich dann auch eher eine Stimmung oder ein Gefühl erschaffen und nicht unbedingt eine Geschichte erzählen.
Zurück in London lernt sie den PJ-Harvey-Produzenten John Parish kennen, der sie einlädt, auf einem seiner Songs zu singen. Zusammen mit Parish nimmt sie ihr erstes Album in den schummrigen georgianischen Kellergewölben der Toybox Studios in Brighton auf. Geschrieben hat sie die Stücke aber in ihrer alten Heimat Beirut.
Beirut ist ein sehr komplexer, vielschichtiger Ort, es ist total chaotisch, aber auch wunderschön. Mir fällt es leicht, dort zu schreiben. Ich weiß auch nicht genau, warum, vielleicht bin ich dort weniger abgelenkt. Aber diese Stadt hat etwas Inspirierendes an sich.
Eine Reise zu sich selbst
Eine frische Meeresbrise durchweht die Songs auf The Salted Air, aber sie klingen nicht nach einem bestimmten Ort. Mit Khouris samtig-rauer Stimme im Mittelpunkt sind sie mal minimal und karg, mal üppig mit Streichern, Chor und viel Hall arrangiert. Inhaltlich befassen sich Khouris Songs mit Verlust und Veränderung. Dabei geht es weniger um einen geographischen Ortswechsel, als vielmehr um eine Reise zu sich selbst.
Beim Schreiben des Albums wollte ich etwas Essenzielles finden. Als „A Song To The City“ herauskam, habe ich mich ein bisschen verloren gefühlt. Ich wusste nicht genau, wo ich hingehöre. Bei „The Salted Air“ habe ich nach etwas Originärem gesucht, einer Art Anfang. Ich wollte ein Gefühl von Zuhause und Verwurzelung finden.
Nadine Khouri hat sich von den Gedichten Rilkes und den Büchern des norwegischen Schriftstellers Tarjei Vesaas inspirieren lassen. Vor allem in den Songs I Ran Thru The Dark und Catapult finden sich Anspielungen auf dessen Roman Das Eis-Schloss, erklärt sie. Darin geht es um zwei Mädchen am Rande der Pubertät, die in einer kleinen norwegischen Stadt leben. Eine von beiden verirrt sich im Labyrinth eines gefrorenen Wasserfalls – dem Eis-Schloss – und wird nicht wiedergefunden.
Das Eis-Schloss ist ein experimentelles, sehr visuelles Buch. Ich fand es erst ziemlich schwierig zu lesen. Die ganze Geschichte ist von einem Gefühl der Trauer und des Verlusts durchzogen. Es geht darum, wie diese Gefühle einen verändern können. Diesen Bogen schlägt auch das Album.
Mit The Salted Air ist Nadine Khouri ein wunderbar stimmungsvolles Debüt gelungen. Die nächtlich-melancholische Atmosphäre der Songs ist tröstlich und verlockend und man kann sich – wie bei einem angenehmen Traum – ganz darin verlieren.