Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eigene Songs schreiben würde. Wenn mir vor zweieinhalb Jahren jemand gesagt hätte, ich würde mal vor Leuten auftreten und zwar nicht als Schlagzeuger, sondern als Sänger und ich würde auf Tour gehen und Platten machen, hätte ich gesagt: Auf keinen Fall!
Eigentlich ist Michael Benjamin Lerner Schlagzeuger. Irgendwann fing er an, eigene Songs zu schreiben, die er dann unter dem Pseudonym Telekinesis auf Myspace stellte, um sich zunächst allerhand Lob von Familie und Freunden abzuholen. Als sich dann aber irgendwann Chris Walla von den Indie-Darlings Death Cab For Cutie zu den Schulterklopfern gesellte, war auch Lerner erst mal ziemlich baff:
Das war ein Selbstbewusstseins-Schub für mich. In Sachen Songwriting war ich nämlich nicht wirklich überzeugt von mir. Aber als Chris Walla sagte, dass er eine Platte mit mir aufnehmen würde, dachte ich: Wow! Da denkt jemand, dass das okay ist, was ich mache. Das hat mir sehr geschmeichelt. Gleichzeitig dachte ich aber: Das wird nie passieren. Das verspricht er jedem.
Doch Walla stand zu seinem Wort und lud Lerner in sein Studio ein. 12 Desperate Straight Lines ist nun schon das zweite Album, das die beiden aufgenommen haben. Für Lerner ein Glücksfall. Arbeitet er doch mit jenem Produzenten zusammen, der für Lerner’s Lieblingsplatten verantwortlich ist: Nada Surf, Tegan & Sara, The Decemberists – allesamt Alben, die bei Lerner auf Dauerrotation laufen und die auch auf seine Musik abfärben. Telekinesis – das ist nach wie vor treibender Power-Pop mit viel Gitarre und einfachen Songstrukturen. Nach seinen Einflüssen gefragt geht Lerner in der Pop-Geschichte noch etwas weiter zurück.
Die Beatles und die Kinks haben mich schon immer beeinflusst – sehr poppiges Zeug. Jetzt kommt da noch New Order dazu. Für mich ist es sich wie ein Schritt nach vorn in meiner musikalischen Entwicklung.
Am deutlichsten wird der 80er-Einschlag in Please Ask For Help. Beginnend mit einem stoischen Beat, baut der Song vor allem auf seinen markanten Joy Division-Basslauf und einer melodieverliebte The Cure-Gitarre auf.
Auch wenn die Musik das zunächst nicht offensichtlich impliziert: Thematisch ist das neue Telekinesis-Album deutlich dunkler geraten als der selbstbetitelte Erstling. Ging es in Lerners früheren Songs noch hauptsächlich um das Verliebt-sein, dreht sich nun alles um Trennungs-Verarbeitung. Den nötigen Abstand von seiner Beziehung fand er in Berlin, wo er einige der Songs für das Album schrieb.
Es war so kalt und dunkel in Berlin. Das hat meine Stimmung natürlich nicht gerade aufgeheitert. In dieser Zeit entstand „50 Days“, wahrscheinlich der dunkelste Song, den ich je geschrieben habe.
Seinen Trenungs-Schmerz verpackt Lerner auf 12 Desperate Straight Lines in verzerrte, bratzige E-Gitarren und wuchtige Drums. Wut und Verzweiflung quillen aus jedem Ton. Dennoch bewahren sich die Songs eine subtile Leichtfüßigkeit. So kann es schon mal vorkommen, dass man mit Telekinesis auf den Kopfhörern fröhlich mitpfeifend durch den Park läuft und sich gar nicht bewusst ist, dass der Sänger gerade intime Verlust-Geschichten preisgibt. Vielleicht ist das die große Stärke des Albums – die Distanz, die Lerner mit der Musik zu seinen Schlafzimmer-Einblicken wahrt. Vor allem live geht das auf:
Wenn man live spielt, muss man sich selbst aus der Gleichung nehmen. Wenn Leute die Musik hören, denken sie ja nicht an meine Beziehungsprobleme, sondern stellen vielleicht einen persönlichen Bezug her. Jeder war mal verliebt und jeder hat mal Schluss gemacht. Die Songs kann also jeder für sich übersetzen. Das macht es einfacher, sie live zu spielen.
Telekinesis-Songs kommen aus dem Bauch – ohne großes Kopfzermartern. Was auch immer Lerner gerade beschäftigt – er schreibt es auf und macht ein Lied daraus – ehrlich, einfach und geradeaus. Zwölfmal hat er das zuletzt getan – 12 Desperate Straight Lines.