Mutige Bilder in den sozialen Netzwerken
In einem Klassenzimmer steht eine Reihe junger Mädchen. Sie stehen mit dem Rücken zur Kamera, tragen kein Kopftuch, wie es die Regierung im Iran Frauen eigentlich vorschreibt. Ihre Haare sind offen. Inbrünstig singen sie den Song, der gerade wie kein anderer für den Protest der Menschen im Iran gegen die islamische Diktatur steht: “Baraye” von Shervin Hajipour. Videos wie dieses haben es trotz eingeschränktem Internet im Iran auf die Social-Media-Timelines der Menschen weltweit geschafft. Musik spielt dabei eine zentrale Rolle: Sie dient als Sprachrohr der Unterdrückten, weckt weltweit Aufmerksamkeit für den Protest und verbindet Millionen Menschen emotional.
Frau, Leben, Freiheit
Seit der Ermordung der Kurdin Jîna Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei in Teheran am 16. September fordern vor allem Frauen den Umsturz des repressiven Mullah Regimes. Der Protestruf „Jin, Jiyan Azadî“, übersetzt „Frau, Leben, Freiheit“, ist ursprünglich ein politischer Slogan der kurdischen Arbeiterpartei und zum zentralen Schlachtruf geworden. Auch in persischer Übersetzung hört man „Zan Zendegi Azadi“ nicht nur bei Demos auf den Straßen, sondern als Textzeile vieler solidarischer Protest-Songs, wie z.B. im Song „Woman Life Freedom“ der in den Niederlanden lebenden Iranerin Sevdaliza.
Musik als Sprachrohr
Auch die Berliner Musikerin Madanii nutzt den Protest-Slogan in ihrem Song „Teheran is burning“, den sie kürzlich als Reel veröffentlicht hat. Genutzt hat sie für den Song die bekannte persische Melodie „Pāiz āmad“ – übersetzt „der Herbst ist da“. Madanii greift so auch ein Stilmittel auf, das in den vergangenen Jahren im Iran häufig genutzt wurde, um trotz der Zensur Systemkritik zu äußern: Mit metaphorischen Bildern lässt sich schließlich auch eine politische Stimmung beschreiben. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Song „Zemestan ast“ (übersetzt: „Es ist Winter“) von Mohammad Reza Shajarian.
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Solidarität durch Musik
Die Berliner Musikerin MARYAM.fyi ist in Deutschland als Tochter eines iranischen Vaters aufgewachsen. Auch sie ist derzeit auf Demos unterwegs und hat den Song „Baraye“ dort nicht nur live performt, sondern ihn wie viele Menschen weltweit neu interpretiert und aufgenommen. Der Songtext besteht dabei aus Tweets, die Hajipour gesammelt hat: Eine Aufzählung der Gründe, wofür Protestierende derzeit auf die Straße gehen. Auch die Band Coldplay zeigte sich kürzlich solidarisch und performte den Song bei einem Konzert in Buenos Aires gemeinsam mit der iranischen Schauspielerin Golshifteh Farahani. Das Konzert wurde live in Kinos in 81 Länder übertragen.
Die Bedeutung von Musik ist in der iranischen Kultur schon so präsent und so groß. Sie könnte kaum wichtiger sein als jetzt.
MARYAM.fyi
Haft & Folter
Während sich sein Song über die sozialen Medien verbreitet, wird Shervin Hajipour verhaftet. Mit einer Kaution konnte er sich frei kaufen und ist mittlerweile untergetaucht. So viel Glück haben andere Musiker:innen im Iran gerade nicht. Die Rapper Saman Yassin und Toomaj Salehi wurden inhaftiert und sind laut ihrem Umfeld schwerer Folter ausgesetzt. Toomaj, der mit seinen kritischen Songtexten schon einmal festgenommen wurde und der islamischen Regierung Irans schon länger ein Dorn im Auge ist, ruft in aktuellen Songs, wie „Meydoone Jang“ dazu auf, sich dem Protest anzuschließen.
Googoosh – Ikone für alle Generationen
Da im Iran Frauen sowohl das Musizieren als auch das Tanzen in der Öffentlichkeit verboten ist, sind iranische Pop-Ikonen, wie die 72 jährige Musikerin Googoosh, die vor der Revolution 1979 zum absoluten Star avancierte, auch heute noch Vorbild für die junge Generation der Iraner:innen. Im Iran durfte sie damals nicht mehr auftreten und startete eine erfolgreiche zweite Karriere im Exil. Auch sie hat gemeinsam mit den bekannten Musikerinnen Leila Forouhar, Darya Dadvar, Sogand, Shohreh Aghdashloo und Shahrzad Sepanlou zum 40. Todestag von Jîna Mahsa Amini den Song „Dobareh“ veröffentlicht, in dem sie singen: „Der Iran wird wieder zum Iran.“
Iranische Frauenbewegung
„Rechte werden nicht gewährt, man muss sie erkämpfen“, sagt ein persisches Sprichwort, dass sich die Frauenbewegung im Iran schon lange zu Herzen nimmt. “The song of equality”, das „Lied der Gerechtigkeit“ wurde von der Bewegung 2007 zum ersten Mal gesungen und nun neu aufgelegt. Auf Youtube findet man die neue Version des Songs unterlegt mit Bildern des aktuellen Protests. Die in England lebende Musikerin Golazin Ardestani, kurz Gola, widmet sich im Song „Haghame“ dem Kleidungsstück, das während der Proteste zum Symbol der Unterdrückung der Frauen im Iran geworden ist: das Kopftuch oder der Hijab.
In dieser Bonus-Episode von „Keine Angst vor Hits“ hören wir die Musik, die die revolutionären Proteste im Iran derzeit begleitet und sprechen mit der Berliner Musikerin MARYAM.fyi über die Rolle von Social Media, den Duft von Teheran und die Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit für die Proteste weltweit aufrecht zu halten. Mehr zum Thema hört ihr außerdem in unserem Podcast „Zurück zum Thema“.