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Reingehört: James Blake – Overgrown

Man sagt, das zweite Album ist schon fast wichtiger als das Debüt. Jedoch hat sich selten ein Künstler solch einer hohen Erwartungshaltung auszusetzen gehabt, wie James Blake vor seinem zweiten Album. Am Freitag kam „Overgrown“ nun endlich in die Läden – ein Album, das vor allem vielschichtiger und reifer als sein Vorgänger ist.

Reingehört: James Blake – Overgrown 07:23

James Blake hat sich in der Rolle des Superstars nie wirklich wohl gefühlt. Vor allem dass die größten Hits seines ersten Albums nicht seiner Feder entsprungen sind, hat ihn gewurmt. Gerade deswegen hatte er für Overgrown zunächst lernen müssen, selber gute Songs zu schreiben. Der Opener und zugleich Titeltrack des Albums ist Blakes erster Versuch, diesen schwierigen Sprung zu schaffen. Allein die Textzeile I don’t want to be a star but a stone on the shore klingt wie ein wahres Gefühlsbekenntnis über Blakes Unwohlsein in der Rolle als Star.

Musikalisch knüpfen die ersten beiden Songs an Blakes Debüt an. Das klingt mitunter sehr geradlinig und gerade deswegen fehlt es zu Beginn der Platte deutlich an Spannung. Die steigt mit Life Around Here und findet in Take A Fall For Me, einer Zusammenarbeit mit Wu-Tang-Clan Mitglied RZA, ihren ersten Höhepunkt. Beide Songs entfernen sich von Blakes Ursprungsstil und lassen R’n’B-Elemente in die Musik einfließen – eine Bereicherung, durch die Overgrown spürbar an Qualität und Facettenvielfalt gewinnt.

Den Mittelpunkt von Overgrown bildet die erste Single Retrograde und spätestens da sollte einem das zentrale Thema in Blakes Texten aufgefallen sein: die Liebe. Die hat Blake auch beim Schreiben des Albums inspiriert, denn seit zwei Jahren ist er glücklich mit Warpaint-Gitarristin Theresa Wayman zusammen. Genau diesen Moment des Verliebtseins hat er in Retrograde musikalisch so gut festgehalten, dass man ihn beim Hören praktisch nachempfinden kann: Immer und immer weiter steigt das Gefühl langsam in einem an, bis es dann mit der Textzeile Suddenly I’m hit endlich aus einem herausbricht.

Der spannendste Moment auf dem Album beginnt mit den beiden Tracks Voyeur und Digital Lion, den Blake zusammen mit Brian Eno produziert hat. Beide stehen für Blakes neue Offenheit gegenüber anderen Genres. Besonders Voyeur: Das Stück beginnt zunächst recht zögerlich, bis auf einmal eine Kuhglocke einen Housebeat einläutet. Dieser steigert sich immer weiter, um dem Hörer am Ende mit einem für Blake bisher untypischen Dance-Part zu überraschen.

Aber nicht nur die stilistische Weiterentwickelung verschafft dem Album mehr Persönlichkeit. Mehr als je zuvor lässt Blake seine Stimme in vielen Stücken unberührt von elektronischen Autotune-Spielereien. Anstatt dessen experimentiert er mehr mit seiner natürlichen Stimme: Mal singt er im Wechselgesang mit sich selbst, ein anderes Mal begleitet er sich in einem mehrstimmigen Chor. Das gelingt ihm am eindrucksvollsten in Dlm.

Auch wenn es dem Album manchmal an Spannung fehlt, scheint James Blake auf Overgrown seinen eigenen Stil gefunden zu haben. Anstatt den Forderungen nach einem neuen Limit To Your Love nachzugeben, konzentriert er sich auf seine Stärken und gibt dem Album viel von seiner Persönlichkeit mit. Vor allem seine natürliche und zerbrechliche Falsett-Stimme lassen die Musik menschlicher als auf dem Debüt wirken. Die Einflüsse aus anderen Genres und die komplexeren Arrangements verleihen Overgrown zudem eine unverhoffte Vielseitigkeit. Das Einzige, was dem Album vielleicht fehlt, ist ein potentieller Hit. Aber wer braucht den schon, wenn am Ende das Gesamtbild stimmt.

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