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Reingehört: Jamie Lidell – Jamie Lidell

Seit Ende der Neunziger ist Jamie Lidell im Geschäft, machte schon zusammen mit Feist, Mocky oder Cristian Vogel Musik. Seine Musik klingt nach Electro, Funk, Soul und Pop. Mit seinem selbstbetitelten Neuwerk begibt er sich auf Suche nach sich selbst – und entdeckt vor allem die Achtziger.

Reingehört: Jamie Lidell 06:11

Jamie Lidells letztes Album hieß Compass – den scheint er drei Jahre später neu auszurichten. Das selbstbetitelte Werk klingt, als hätte sich eine Platte aus den Achtzigern in die Londoner Post-Dubstep Szene verirrt. Der Engländer mit neuer Wahlheimat in Nashville baut eine Art mystische Beziehung zu seinem Equipment auf – und grenzt sich so von der Masse ab. Das nimmt romantische Züge an, wie er selber zugibt:

In manchen Instrumenten steckt eine gewisse Romantik. Sie haben eine mystische Seite für mich. Viele der frühen Synthesizer und Mikrofone wurden in sehr limitierten Auflagen produziert. Sie waren kein Massenprodukt sondern handgemacht.

Handgemacht sind die Electronic-Sounds auf alle Fälle. Allein ein Blick auf das CD-Cover verrät, wohin die musikalische Reise geht. Lidells Gesicht, zusammengesetzt aus knalligen Neon-Dreiecken, ist dadrauf zu sehen. Eigthies, welcome back! – So lautet die Devise. Mit einer bloßen Zeitreise hin zu New Order, Stevie Wonder oder Prince hat der Hörer es aber nicht zu tun. In dem Song What A Shame etwa steckt eine düstere Tiefe, die man so noch nicht von Lidell kannte.

Lidells ländliche Herkunft, er kommt aus einer kleinen Stadt im Osten Englands, merkt man seinen Songs an. Er versucht einfachen, bodenständigen Electropop zu produzieren – und doch hört man, dass er unbedingt zum großen Electro-Hipster-Kreis gehören will. Hinter all diesen Bemühungen versteckt sich aber immer der Wille des Entspannten – Jede noch so tanzbare Nummer, wie etwa das simple You Naked, plätschert irgendwann nur noch im Hintergrund.

Er arrangiert die elektronische Musik der Achtziger im Hier und Jetzt. Das ist nicht unbedingt schlecht, nur nicht das, was man vom „alten Hasen“ Lidell gewohnt ist. Je älter er wird, desto länger braucht er für seine Songs, wie er selber feststellt:

Man braucht mehr Disziplin und Arbeit. Man muss diese Idee vom Abschließen im Kopf haben, daran glauben, dass es gut wird. Das war sehr schwierig bei diesem Album, weil ich sehr hohe Ansprüche daran hatte, wie es klingen sollte. Ich wusste, dass ich damit nicht zufrieden sein würde bis ich den „Gold Standard“, ein gewisses Level bei jedem Song erreiche.

Die Schwierigkeit, seinen hohen Ansprüchen gerecht zu werden, spiegelt sich in den Texten. Das Album startet mit dem Geständnis: „Ich bin selbstsüchtig – I’m selfish.“ Kurz könnte man auf die Idee kommen, Lidell habe hier ein vertontes Selbstportrait fabriziert. Dieser mystische Opener macht erst mal Lust auf mehr und nach dem letzten Song In Your Mind findet man es irgendwie schade, dass Lidells Show mit der Soul-Stimme und den Funk-Electro-Beats vorbei ist.

Doch dazwischen fehlt das gewisse Etwas, das die früheren Lidell-Platten hatten. Er versucht, der Maschinerie des Musikbusiness zwanghaft gerecht zu werden. Gleichzeitig verschreibt er sich dem Songwriting. Ein schwieriger Balanceakt für ihn, sagt Lidell:

Mal ehrlich, es ist doch immer nur eine verrückte Mischung aus Mensch- und Sexmaschine. Das ist irgendwie der Kern. Dieses Album konzentiert sich viel mehr als in den vergangenen Jahren auf diese Maschinerie. Ich kann dem Songwriting aber nicht widerstehen. In Berlin war ich zusammen mit Mocky sehr in das Schreiben von Songs involviert. Wir haben uns darauf konzentiert, das zu lernen.

Den Lernversuch hört man dem Album an, nicht im negativen Sinne. Mit der nun mehr vierten Platte Lidells gibt es keinen musikalischen Neustart, aber eine gedankliche Rückbesinnung eines Künstlers, der seit über zwanzig Jahren im Geschäft ist. Als Zuhörer spürt man, wie Lidell experimentiert und auch mal danebengreift. Das hört man vor allem in Tracks, wie dem skurillen Why_Ya_Why. Trotzdem klingt es perfektionistisch. Das ist die hohe Kunst. Die lockere Atmosphäre des Albums ist wohl den Produktionsumständen zu verdanken.

Es war eine Stimmung wie in einer Musikresidenz. Wir haben in der Nacht Wein getrunken, gechillt und Musik gemacht. Aber nicht zu viel. Wir sind nicht durchgedreht. Ich brauche das nicht mehr. Dasselbe gilt für die meisten Leute, mit denen ich arbeite. Ich arbeite lieber als dass ich high werde.

Genau wie Lidells Arbeitsprozess, sollte man das Album bewerten: Nichts zum verrückt werden, nichts Ungewöhnliches, einfach eine musikalische Residenz zum Entspannen – mit einer gehörigen Portion Achtziger-Jahre-Feeling.

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