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Saitenwechsel: Das Orchester auf Tour

Jedes Jahr gibt das Gewandhausorchester 25 bis 30 Tournee-Konzerte. Drei davon standen Anfang März auf dem Spielplan, allesamt in der Musikmetropole Wien. Doch wie muss man sich das vorstellen, wenn ein ganzes Orchester auf Tournee geht? Was passiert hinter den Kulissen? Wir haben das Gewandhausorchester nach Wien begleitet.

wird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Saitenwechsel | detektor.fm entdeckt Klassikwird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Der Flughafen Halle-Leipzig am ersten frühlingshaften Tag des Jahres: Eine Armada von Trolleys rollt zum Check-In. Ihre Besitzer sind die Musiker des Gewandhausorchesters. Manche haben ihre Instrumente geschultert. Sie versammeln sich um Orchestermanager Marco Eckertz, der die Flugtickets verteilt.

Über Eckertz‘ Tisch läuft die Vorausplanung der Tour. Vor Ort repräsentiert er das Orchester, pflegt Kontakte zu Agenturen und springt in die Presche, wenn Notfälle eintreten.

In Amerika hatten wir einen Wintersturm und konnten unseren Veranstaltungsort nicht erreichen. Wir mussten also Hotels suchen und sehen, wie die ganze Reise überhaupt weitergeht. Dafür bin ich dann natürlich da. Aber im Idealfall ist es so: Wenn man auf einer Tournee so gut wie nichts sieht, dann läuft alles gut. In dem Moment, wo man viel von mir sieht, gibt es Probleme.

Auf der dreitägigen Wien-Reise wird man wenig von Eckertz sehen – ein gutes Zeichen also. Am Flughafen in Wien warten vier Busse, die das Orchester zum Hotel fahren. Um den reibungslosen Ablauf der An- und Abreise kümmert sich eigens eine Agentur, die sich auf Orchesterreisen spezialisiert hat. Axel Utecht ist einer der Geschäftsführer dieser Agentur und begleitet den Tour-Tross als so genannter „Flight Agent“.

Musiker legen auf bestimmte Sachen besonderen Wert, z.B. dass die Reisezeiten so kurz wie möglich gehalten werden, dass die Busse jetzt hier stehen oder dass im Hotel alles vorbereitet ist. Das funktioniert auch nicht immer. Wenn wir so früh wie heute ankommen und ein komplettes Orchester im Hotel eincheckt, sind 130 Zimmer eben manchmal noch nicht hergerichtet.

Angekommen im Hotel liegen auf einem großen Tisch im Foyer schon alle Zimmerkärtchen bereit. Bis zum Konzert am Abend sind es noch ein paar Stunden. Mahlers fünfte steht auf dem Programm. Wie man die Zeit bis dahin vertreibt, ist jedem selbst überlassen. Eigentlich die perfekte Gelegenheit für einen Ausflug in die Stadt. Trompeter Ulf Lehmann ist seit 1991 regelmäßig mit dem Orchester auf Tour.

Es ist ja immer noch eine Dienstreise. Dafür musst du fit sein am Abend. Es reizt natürlich, sich auch mal das ein oder andere anzuschauen. Dafür ist auch Zeit, aber nicht so viel Zeit, wie sich vielleicht mancher Außenstehender ausmalt. Gerade bei so einem Stück wie der fünften Mahler kann ich nicht den ganzen Tag spazieren gehen und dann mal schauen was abends passiert. Man muss sich schon pflegen.

Und so tönt es in den Gängen des Hotels aus vielen Zimmern: Klarinette, Violine, Trompete. Was wohl die Zimmernachbarn dazu sagen?

Man kann natürlich auch mit solchen herrlichen, ich sage immer „Hoteldämpfern“ spielen, die extrem leise machen [spielt mit Dämpfer]. Das ist aber ein verfälschtes Gefühl. Ich möchte eigentlich ohne Dämpfer, also offen spielen. [spielt offen]. Man hört es ja auch so ein bisschen aus den Nachbarzimmern. Wir halten es seit einiger Zeit so, dass alle Blechbläser auf einem Flur wohnen, was auch für die Nicht-Orchestermitglieder im Hotel vielleicht etwas angenehmer ist.

Die drei Konzerte der Tour finden allesamt im Wiener Musikverein statt. Der große Saal beeindruckt nicht nur mit seinem Klang und der Gold-Optik, er atmet auch Geschichte, sagt Intendant Thomas Angyan.

Wenn man sich überlegt, dass Mahler hier seine Sinfonien dirigiert hat, dass Bruckner hier seine Sinfonien gehört hat, als sie uraufgeführt wurden, dass Brahms in diesem Saal gesessen hat und seine Werke gehört hat – das sind die historischen Dimensionen dieses Hauses, dieses Gebäudes und letztendlich auch dieser Institution.

Am ersten Abend sitzt im Publikum sogar Leipzigs Oberbürgermeister Burkard Jung. In der Pause gibt es Backstage das große Hallo. Jung beglückwünscht den Solisten und trifft Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly.

Ich begleite unser Orchester des Öfteren auch im Ausland. Das ist eine wunderbare Gelegenheit, mit unserem Orchster Botschafter für die Stadt zu sein. Wir haben mit dem Orchester den schönsten und besten Botschafter, den wir uns vorstellen können. Das muss man nutzen! Es ist schon etwas besonderes, das Orchester in dieser ganz besonderen Atmosphäre im Musikverein zu erleben.

In einer Musikmetropole wie Wien ist das Konzertpublikum natürlich verwöhnt. Man sagt: Es sei normal, wenn der Applaus verhalten ausfällt. Nach dem Schlussakkord von Mahlers fünfter Sinfonie sind diese Bedenken heute Abend aber hinfällig.

Das Wiener Publikum meint es gut mit dem Gewandhausorchester, obwohl den Musikern am ersten Abend noch die Anreise in den Knochen steckt. Und an den neuen Saal muss man sich auch erst mal gewöhnen. Riccardo Chailly kennt das nur zu gut.

Das erste Konzert ist nicht immer das Beste. Das erste war mit Schwung und Konzentration gespielt, aber man hat hier und da leider auch kleine Nervositäten gespürt.

Manchmal halfen ja Rituale, um mit Nervosität umzugehen. Welche Tour-Rituale hat eigentlich Riccardo Chailly?

Für mich ist das Ritual, möglichst Ruhe zu haben. Das ist wichtig, auch für die Musiker. Man braucht Stille, Schlaf und Konzentration um 110 Prozent zu geben.

Und damit alle fit genug für 110 Prozent sind gehört zum Tour-Tross sogar ein eigener Arzt. Jörg Peter kümmert sich um das Wohlbefinden des Orchesters und sagt: Auf Reisen treten vor allem diese zwei Krankheitsbilder auf.

Am gefürchtetsten ist die Grippe, vor allen Dingen wenn wir in den kalten Jahreszeiten oder durch Klimazonen reisen. Durch Zeitumstellung, Flüge und klimatisierte Hotels ist die Erkältungssituation häufig ein Problem. Das andere sind die gefürchteten Reisdurchfälle.

Die Wien-Reise läuft zum Glück ohne nennenswerte Krankheitsfälle ab. Und auch die beiden darauffolgenden Konzerte ernten Jubel und Bravo-Rufe. Und nachdem der letzte Ton verklungen ist, beginnt für Lothar Petrausch erst die Arbeit. Als Orchesterwart koordiniert er den Auf- und Abbau und sorgt dafür, dass alle Instrumente am Ende verpackt und sicher wieder nach Leipzig transportiert werden.

Wir haben so sechs Tonnen Instrumente mit. Das ist ein LKW, aber ein Sattelzug, 40-Tonner. Das ist ganz ordentlich!

Während der vollbepackte LKW seine Übernachtfahrt antritt, treffen sich die Orchestermusiker am letzten Abend zum gemeinsamen Feierabendbier in einem Wiener Lokal. Für das Gewandhausorchester war es ein gelungenes Gastspiel. Und am nächsten Morgen fliegt eine Chartermaschine die 130-köpfige Tour-Karawane wieder zurück nach Leipzig.

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