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Saitenwechsel: Der Taktstock

Wozu braucht man einen Taktstock?

Baton, Stick, Baguette – es gibt viele Bezeichnungen für den kurzen, dünnen Stab, mit dem der Dirigent das Orchester nach seiner Nase tanzen lässt. Aber wozu braucht er überhaupt einen Taktstock? Geht das nicht auch ohne? Und zeigt der Taktstock wirklich nur den Takt an oder ist er auch Ausdruck von Autorität und Macht? Zeit für einen Saitenwechsel.

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 Ein dünner, kurzer Stab, mit dem der Dirigent dem Orchester den Takt anzeigt. Im Englischen heißt er „Baton“ oder einfach nur „Stick“. Die Franzosen sind da einfallsreicher. Die nennen es einfach „Baguette“.

Ja, dieser dünne, kurze Stab ist so prominent, dass ihm sogar schon ein ganzer Dokumentarfilm gewidmet wurde: Der Taktstock. Aber wozu braucht ein Dirigent überhaupt so ein Ding? Geht das nicht auch ohne? Und zeigt er mit dem Taktstock wirklich nur den Takt an?

Barbara Rucha - Dozentin für Orchesterleitung

Dozentin für Orchesterleitung
Ich habe lange gedacht, der Taktstock ist ein Phallus-Symbol. Und wahrscheinlich ist es das auch, denn Dirigieren ist natürlich auch ein Job, der viel Macht vereint.Barbara Rucha

Sagt Barbara Rucha. Sie lehrt Dirigieren an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Und bringt ihren Studenten auch bei, wie man mit einem Taktstock umgeht. Auch wenn der kurze Stab nicht nur vorteilhaft ist.

Man verliert die Ausdruckskraft der Hand. Ob ich den Handrücken oder die Handfläche zeige, ob ich die Hand leicht balle oder strecke – das hat natürlich eine Ausdruckskraft für den Ton. Wenn ich den Taktstock nehme, habe ich das nicht. Dafür habe ich eine Konzentration und Präzision.

Der verlängerte Arm des Dirigenten

Diese Präzision ist gefragt bei den großen Orchestern dieser Welt, die nicht selten anspruchsvolle Werke spielen. Auch Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly schwört auf den „Baton“.

Mit dem Taktstock zu dirigieren ist für mich sehr wichtig. Natürlich ist er erst einmal eine Verlängerung des Arms. Aber vor allem macht er meine Gedanken für das ganze Orchester sichtbar. Was geht während der Performance im Kopf des Dirigenten vor? Was ist seine Idee als Interpret? Diese Gedanken werden mit den Gesten der Hände auf das Orchester übertragen und durch den Taktstock verstärkt.

Wer große Orchester dirigiert, ist auf diese Verstärkung angewiesen. Eine kleine Bewegung mit der rechten Hand wirkt dank des Taktstocks viel effektiver, sagt Chailly.

Riccardo Chailly - Gewandhauskapellmeister

Gewandhauskapellmeister
Wenn ich mit meiner Hand eine Bewegung ohne Taktstock mache, ist das aus einer Entfernung von 20, 30 Metern eine sehr kleine Bewegung. Wenn ich mit dem Taktstock in der Hand exakt dieselbe Bewegung mache, verstärkt die Spitze des Taktstocks die Sichtbarkeit dieser Bewegung um fast 50 Prozent.Riccardo Chailly

Wenn ich also ein Riesenorchester vor der Nase habe und schwierige, schnelle Stücke dirigiere, sollte ich nicht auf den Taktstock verzichten. Aber warum eigentlich ein Taktstock? Kann ich nicht auch einfach einen Bleistift nehmen?

Der Stift ist gleichmäßig. Er springt also nicht. Der Taktstock aber ist vorne dünn und hinten hat er den Knubbel. Dort hat er mehr Gewicht. Dadurch hat er einen Schwerpunkt, der ungefähr fünf Zentimeter über dem Knubbel ist. Um den herum kann man den Taktstock tanzen lassen. Die Beschaffenheit des Griffs ist wichtig. Sie entscheidet darüber, je nachdem, was man für eine Hand hat – lang, dünn, dick, groß, klein – ob man den Taktstock gut greifen kann oder nicht.

Taktstock ist nicht gleich Taktstock

Um rauszufinden, welcher Taktstock gut in der Hand liegt, solle man im Musikgeschäft einfach mal ein paar ausprobieren, sagt Rucha. Dort findet man Taktstöcke in allen Formen und Größen. Und sehr wahrscheinlich kommen die meisten Modelle aus dem sächsischen Markneukirchen.

Hier befindet sich nämlich die älteste Taktstock-Manufaktur der Welt. Seit über 125 Jahren stellt der Familienbetrieb Rohema Taktstöcke her. Maik Hellinger gehört zu dieser Familie und berichtet mir, wie die Arbeit in der Werkstatt abläuft. Taktstöcke werden hier in Großserien zu tausenden gefertigt, erst mal maschinell.

Da wird ein Rundstab eingelegt. Dieser wird dann abgedreht auf diese spitze Form. Dann wird aber jeder Stab noch von Hand geschliffen, auf die richtige Länge gekürzt und lackiert. Die Griffe sind völlig unterschiedlich. Wir haben Griffe aus Kork. Die sind wegen ihres geringen Gewichts sehr beliebt. Die Korkgriffe bekommen wir aus Portugal als Rohlinge vorgefertigt. Dieser werden von uns von Hand überschliffen und in die Stäbe eingeleimt. Es steckt also doch noch viel Handarbeit in so einem Stab.

Der »Porsche« unter den Taktstöcken ist aus Karbon und deswegen besonders leicht und gleichzeitig robust.

Vorwiegend fertigen die Hellingers Stäbe aus Holz. Aber auch aus Glasfieber. Die sind schwerer, dafür etwas robuster. Der Porsche unter den Taktstöcken ist aus Karbon. Das ist schön leicht und übersteht noch jede noch so rabiate Nutzung. Hellingers Expertise in Sachen Taktstöcke ist auf der ganzen Welt gefragt. Und so finden sich in den Auftragsbüchern auch einige prominente Namen.

Es gibt viele Dirigenten, die da ihre eigenen Vorstellungen haben. Für die machen wir eine Ausnahme und bieten Sonderanfertigungen an. Herr Barenboim bekommt von uns zum Beispiel ein eigenes Modell.

Denn Taktstock ist nicht gleich Taktstock. Auch nicht für Riccardo Chailly.

Jeder Dirigent hat persönliche Vorlieben. Da geht es um den Griff des Taktstocks, darum, wie er in der Hand liegt und wie er nachschwingt. Das ist ein sehr persönliches Gefühl.

Eine gute Schlagtechnik allein reicht nicht

Nachdem ich jetzt weiß, dass ein Taktstock quasi unverzichtbar ist, will ich jetzt aber auch wissen, wie man damit umgeht. Also: Wie geht dirigieren, Frau Rucha?

Die Eins geht immer nach unten, der letzte Schlag des Taktes geht immer nach oben. Das heißt, wenn ich jetzt eine Eins habe, dann schlage ich immer nur runter. Wenn ich eine Zwei habe, geht’s runter-rauf. Bei einer Drei: Runter-raus-rauf. Vier: Runter-rein-raus-rauf.

Und das ist längst noch nicht alles. Ich muss ja auch noch signalisieren, dass es lauter oder leiser wird und schneller oder langsamer. Im Fachjargon spricht man hier von der Schlagtechnik. Doch selbst wer eine gute Schlagtechnik hat, ist noch lange kein guter Dirigent.

Ich glaube, dass der Dirigent neben der musikalischen Begabung eine Art schauspielerische und mimische Begabung braucht. Wenn ich jetzt mit Ihnen rede und ich benutze meine Hände und mach ein Gesicht – es gibt Leute, die machen sowas ganz viel und es gibt Leute, die sitzen da wie eine Schlaftablette. Da wird sich nie irgendwas übertragen. Erstere Gruppe ist begabter fürs Dirigieren, die zweite hat’s schwerer.

Also. Den Takt anzeigen, dem Orchester zeigen, was man denkt, Musik sichtbar machen, dabei die Noten nicht vergessen und das alles schauspielerisch rüberbringen. Verrückt, was man mit einem Taktstock alles auf einmal anstellen kann. Kleiner Stab, große Wirkung.

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