Wagner, Bach, Beethoven – klassische Musik hat in Deutschland Tradition. Und sie ist – anders als Pop made in Germany – weltweit gefragt. Die Orchesterlandschaft ist hierzulande dementsprechend groß und vielfältig. Aber wie lange noch? Ständig heißt es: Finanzkrise hier, Sparzwänge da. Und wenn der Rotstift gezückt wird, ist meistens erst mal die Kultur dran. Die nackten Zahlen versprechen jedenfalls nichts Gutes. In den letzten 20 Jahren hat sich die Anzahl der Orchester von 168 auf 131 verringert. Die Ursachen kennt Andreas Bausdorf von der Deutschen Orchestervereinigung.
Das ist vor allen Dingen eine Krise der Finanzierung der kommunalen Haushalte. Kultur ist ja eine freiwillige Leistung. Und die kommunalen Haushalte werden seit Jahren mit vielen zusätzlichen Aufgaben belastet, so dass es den Kommunen immer schwerer fällt, diese freiwilligen Leistungen zu finanzieren.
Besonders schwer fällt das den Kommunen und Ländern in Ostdeutschland. Der Musikwissenschaftler und Journalist Jan Brachmann erklärt die strukturellen Unterschiede.
Hochkultur muss sich gegenüber Popkultur rechtfertigen
Für Brachmann steckt hinter den fehlenden Geldern für Kultur ein politisches Legitimitätsproblem. Man sieht es einfach nicht mehr ein, dass es eine Notwendigkeit ist, Orchester und Opernhäuser zu haben, in dem Maße, wie auch in der Politik die weniger musikaffinen Schichten unserer Bevölkerung den Ton angeben.
Die traditionellen hochkulturellen Inhalte kommen – auch in den Feuilletons – immer mehr in die Situation, sich gegenüber der Popkultur rechtfertigen zu müssen. Das ist eine Spätfolge der Säkularisierung. Dadurch, dass Adel und Kirche vor 200 Jahren ihr Monopol verloren haben, den Ton in der Kultur anzugeben und das Bürgertum immer mehr wegbricht, setzen sich jetzt andere Schichten in der Gesellschaft politisch durch. Die traditionellen Eliten müssen sich dagegen rechtfertigen.
Mit dem Orchesterschwund hat sich auch die Zahl der Orchesterplanstellen zwischen 1992 und 2012 um ca. 20 Prozent verringert. Und von den Musikhochschulen strömen nach wie vor jedes Jahr eine Menge Absolventen auf den Arbeitsmarkt. Auf jede freie Stelle kommen ungefähr 60 Bewerber. Was machen denn die, die keine Festanstellung im Orchester bekommen? Nachgefragt bei Andreas Bausdorf von der Deutschen Orchestervereinigung.
Sponsoren ersetzen fehlende Subventionen
Unterbezahlte Musiker, eine kriselnde Orchesterlandschaft – die Suche nach alternativen Finanzierungsmodellen ist längst im Gange. Öffentliche Kultureinrichtungen stocken ihr Budget mittlerweile mit Sponsorenmitteln auf. Das betrifft auch Gewandhausdirektor Andreas Schulz.
Hier kann man noch von einem ausgewogenen Finanzierungs-Mix sprechen, in der Popkultur dagegen sind Sponsoren längst die tragende Säule. Da braucht man sich nur mal anschauen, wie präsent diverse Getränkehersteller auf den großen Musikfestivals sind. Doch wie steht es um die Interessen von Unternehmen, die Geld in Musik investieren? Musikwissenschaftler Jan Brachmann sieht das relativ entspannt.
Soweit ich das bislang übersehe, ist es in der Musik tatsächlich noch so, dass die Sponsoren inhaltlich ganz starke Zurückhaltung üben. Das ist im Sport natürlich anders, wo die Förderer präsent sein wollen, wo sie teilweise ihren Namen bestimmten Institutionen, Arenen oder Stadien aufoktroyieren. Das ist in der Musik noch nicht der Fall.
Bildung und Kulturpolitik in der Pflicht
Wohin also steuert die deutsche Orchesterlandschaft in den kommenden Jahren? Brachmann glaubt, dass die Zahl der Orchester weiter zurückgehen wird. Und er glaubt, dass Orchestermusiker immer mehr Tätigkeiten übernehmen müssen, die über das traditionelle Berufsbild hinausgehen. Die Musikvermittlung etwa spielt eine immer wichtigere Rolle in den Konzerthäusern. Für Brachmann eine Aufgabe, die eigentlich die staatlichen Schulen übernehmen sollten.
Was da passiert, ist wirklich dramatisch: Die Fächer Kunst und Musik werden fusioniert, es gibt keinen musikalischen Fachunterricht mehr. Wir zahlen alle Steuern dafür, dass die Schulen ihre Aufgaben wahrnehmen. Es kann nicht sein, dass die Orchester und Opernhäuser, die Kunst machen sollen, sich auch noch um die Erziehung kümmern müssen. Das ist einfach eine Überlastung der Institutionen. Dafür ist die Schule zuständig. Man muss den allgemeinbildenden Unterricht und den Musikunterricht an den Schulen stärken, gerade im Grundschulalter.
Andreas Bausdorf von der Deutschen Orchestervereinigung sieht die Kulturpolitik am Zug.
Da gibt es eine große Diskrepanz zwischen sonntags reden und montags handeln. Zu offiziellen Anlässen ist sich die gesamte Politik einig, dass die Theater- und Orchesterlandschaft ein Alleinstellungsmerkmal unseres Landes ist. Allerdings wirkt sich das nicht in allen Bundesländern und allen Kommunen entsprechend aus.
Bei aller Sorge sehen aber sowohl Bausdorf als auch Brachmann die Zukunft der Orchesterkultur optimistisch. Deutschland ist immer noch das Land mit der größten Orchesterdichte weltweit. Man muss im Schnitt nur 60 Kilometer fahren, um ein Opernhaus mit ständigem Orchester zu erreichen. Ohne Frage, die Orchesterlandschaft ist im Wandel. Verschwinden wird sie aber auch in diesem Jahrhundert nicht.