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Saitenwechsel: Die Architektur eines Konzerthauses

Wie Architektur den Klang formt

In der Tat: Konzerthäuser sehen wirklich manchmal etwas merkwürdig aus. Was sollen die schiefen Wände und krummen Reihen? Wer plant denn sowas? Und warum soll das jetzt gut klingen? Zeit für einen Saitenwechsel.

wird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Saitenwechsel | detektor.fm entdeckt Klassikwird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Wien, Amsterdam, Berlin, Leipzig – für Klassik-Liebhaber sind das Musik-Mekkas schlechthin. Das liegt auch an den Konzerthäusern, mit denen sich diese Städte schmücken. Und die machen nicht nur äußerlich was her, auch der Klang in den Sälen ist ziemlich gut. Deswegen können sich Architekten von Konzerthäusern aber nur bedingt austoben. Dessen ist sich auch Rudolf Skoda bewusst. Er war der Chefarchitekt beim Bau des Gewandhauses.

Wenn man einen Konzertsaal baut, der eine schlechte Akustik hat, dann ist es ein schlechter Konzertsaal. Der kann noch so schön gestaltet sein und noch so gut funktionieren, es bleibt ein schlechter Konzertsaal mit allen Folgen: Das Orchester spielt und klingt dann nicht so gut, es kommen selten gute Solisten usw.

Na klar, das kennt man auch von Rock-Konzerten: Da kann das Flair in einer schlauchförmigen Lagerhalle noch so urban sein, wenn der Sound der Live-Band breiig ist, macht’s keinen Spaß. Damit’s im Konzerthaus also auch gut klingt, arbeiten die Architekten nicht alleine, sondern zum einen mit den späteren Nutzern des Hauses. Beim Gewandhaus war das damals vor allem Chefdirigent Kurt Masur. Zum anderen mit professionellen Akustikern. Hier kommt Gewandhausakustiker Hans-Peter Tennhardt ins Spiel. Er berichtet, dass es beim Entwerfen eines Konzertsaals erst mal um das Raumvolumen geht.

Das muss so groß sein, dass sich eine entsprechende Nachhallzeit herausstellen kann. Die sollte in besetztem Zustand in dieser Größenordnung ungefähr bei zwei Sekunden in den mittleren Frequenzen liegen. Zum anderen ist die Klarheit des Klangbildes sehr wichtig. Das heißt, der Hörer muss das Orchester von allen Plätzen so wahrnehmen, dass der Direktschall, also der Schall, der von der Schallquelle direkt zum Hörer gelangt, auch als erste Schallquelle bei ihm eintrifft. Dazu müssen entsprechende Sitzreihenüberhöhungen realisiert werden.

Außerdem wichtig ist die Klangdurchmischung. Soll heißen: Das Orchester muss sich selbst gut hören und der vom Orchester erzeugte Klang muss als Einheit in den gesamten Saal abgestrahlt werden.

Nicht jeder Saal klingt gleich

Auch Orchester und Dirigent profitieren also von einem gut gebauten Konzerthaus. Und egal ob altmodisch oder modern, Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly weiß den Klang von vielen Häusern auf der Welt zu schätzen.

Riccardo Chailly - Gewandhauskapellmeister

Gewandhauskapellmeister
Ich war 16 Jahre im Concertgebouw in Amsterdam, einer der besten akustischen Säle in Europa im Sinne einer alten Sound-Tradition. Es gibt aber viele moderne Konzerthäuser, die auf ihre Art beeindruckend sind, so wie das Gewandhaus oder die Berliner Philharmonie. Der Sound der modernen Häuser ist heller und klarer verglichen mit dem Sound der älteren Häuser, wie jenen in Amsterdam oder Wien.Riccardo Chailly

Der entscheidende Unterschied zwischen alten und modernen Häusern ist die Saalgeometrie. In Traditionshäusern wie zum Beispiel dem Wiener Musikverein ist der Saal ein klassischer Rechteckraum. Die Raumakustik in dieser Schuhkartonform ist leichter zu beherrschen. Der Trend aber geht zu polygonalen Sälen. Das Gewandhaus etwa basiert auf einem hexagonalen Grundriss. Die Stuhlreihen sind amphitheaterartig um das Orchesterpodium angeordnet. Sie befinden sich teils sogar an der Seite und hinter dem Podium. Das Orchester rückt so mehr in Richtung Zentrum des Saals. Architekt Skoda kennt die Vorteile eines solchen Raums.

Er hat einen sehr kommunikativen Charakter. Man kann fast von jeder Stelle jeden anderen Besucher sehen. Und wenn man ein gutes Sichtfeld hat, hört man auch den Direktschall vom Orchester oder vom einzelnen Instrument gut.

Saal des Musikvereins in Wien: Ein Saal in der klassischen Schuhkarton-Form. Die Akustik ist hier leichter zu beherrschen.

Getestet wird im Kleinen

Außerdem ist die Entfernung zwischen Podium und letzter Reihe nicht so groß wie beim Modell Schuhkarton. Der Nachteil ist: Die Wände sind weiter auseinander. Somit braucht der reflektierte Schall länger, um wieder bis zur Mitte zu kommen. Um diesem Problem Herr zu werden, arbeiten Architekten und Akustiker beim Bau eng zusammen. Beim Gewandhaus sah das so aus: Die Architekten haben ein Modell im Maßstab 1:20 gebaut. Anhand dieses Modells haben die Akustiker Messungen durchgeführt und zum Beispiel festgestellt:

In einem hinteren Bereich tauchte ein Echo auf. Das ist ja mit das schlimmste in einem Konzertsaal. Da mussten wir die Wandstruktur entsprechend ändern. Wir haben uns dann ziemlich exakt an die Vorgaben der Akustiker gehalten. Das ging so weit, dass in den Seitenwänden bestimmte Flächen nach oben oder nach unten gerichtet sein mussten. Deshalb sind wir auf diese Faltstruktur gekommen.

Und wer sich schon immer gefragt hat, warum die Wände in Konzerthäusern so komisch schief und verschachtelt aussehen, dem dürfte jetzt einiges klar werden. Wie genau diese Raum-Verkleidungen funktionieren, erklärt Akustiker Tennhardt.

An den großen Seitenwänden links und rechts gibt es dreieckförmige Elemente. Die sind so angeordnet, dass sie im vorderen Bereich des Podiums Reflektionen zum Orchester zurückreflektieren und gleichzeitig Reflektionen an die Decke strahlen, die mit einiger Verzögerung die gegenüberliegende Raumseite treffen und so praktisch hin und her pendeln, um den Nachhall aufzubauen.

Im Gewandhaus ist die Raumakustik sogar so ausgefuchst, dass Riccardo Chailly beim Dirigieren hier viel mehr hört als in anderen Räumen.

In einem normalen Konzerthaus hört man von jeder Dynamik-Art drei verschiedene: Von piano über pianissimo zu pianissimo piano und von mezzoforte über forte zu fortissimo. Das sind also sechs unterschiedliche Dynamiken. In einem Konzerthaus wie dem Gewandhaus kann man das mindestens verdoppeln.

Der beste Platz ist Geschmackssache

Bleibt die Frage, wo man im Saal sitzen sollte, um das optimale Hörerlebnis zu haben. So eindeutig beantworten kann man das gar nicht, meint Tennhardt.

Wenn ich jetzt zum Beispiel den Dirigenten erleben will, dann ist für mich hinter dem Orchester der optimale Platz. Oder wenn ich die Streicher besonders erleben will, dann setze ich mich in den vorderen Bereich des Zuschauerraumes. Will ich eine hohe Durchmischung des Klangbildes haben, dann sollte ich mich in das erste bis zweite Drittel des Saales setzen. Auf seitlichen Plätzen wird immer eine Instrumentengruppe dominieren, die ich ja auch optisch besser wahrnehme als andere. Diese Klangverschiebung muss ich auch wollen, dann ist für mich dieser Platz der optimale.

Also am besten alles mal ausprobieren, um den vollen akustischen Genuss auszuschöpfen. Die Gewandhaus-Musiker kommen übrigens fast täglich in diesen Genuss, weil selbst die Orchesterproben im Großen Saal stattfinden. Für Chailly ist das die optimale Probesituation, denn er sagt: Je besser das Konzerthaus, desto mehr kann man aus dem Orchester rausholen.

Das Gewandhaus ist ein Teil des Geheimnisses um den einzigartigen Klang des Orchesters. Es ist ein tägliches Geben und Nehmen zwischen den Musikern und dem Raum, in dem sie spielen. In einer idealen akustischen Umgebung kann man viel mehr aus einem Orchester rausholen. Und in Leipzig haben wir das Glück in einem Weltklasse-Konzerthaus spielen zu können.

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