Die Orgel – ein pompöses Instrument, das viel Raum einnimmt. Sowohl durch seine Erscheinung als auch durch den Klang. Schon Mozart schrieb 1777 in einem Brief an seinen Vater:
Die Orgel ist doch in meinen Augen und Ohren der König aller Instrumente.
Wie kam man eigentlich auf die Idee, ein so monströses Instrument zu bauen? Wieso ist die Orgel so eng mit der Kirche verbandelt? Und wie entstehen überhaupt die Töne?
Ich treffe mich mit Michael Schönheit. Er ist der einzige festangestellte Konzerthausorganist in Deutschland und seit über 25 Jahren am Gewandhaus tätig.
Er zeigt mir die Gewandhaus-Orgel im Großen Saal. Ein mächtiges Instrument mit mehr als 6.000 Pfeifen, einige so groß, dass sie bis knapp unter die Decke reichen. Die Pfeifen unterteilen sich in einzelne Pfeifenreihen und werden Register genannt. Die Register kann man am Spieltisch miteinander kombinieren und so dutzende Klangfarben einstellen. Unter den Registern stehen Zahlen, die angeben, wie hoch oder tief die Register klingen. Schönheit erklärt mir, dass man hier ein altes Maß nutzt – das Fußmaß. Das erste Register heißt z.B. Principal, hat im Pedal ein Maß von 32 Fuß und klingt so tief, dass man es kaum wahrnimmt.
Das ist der tiefste Ton, den diese Orgel erzeugen kann mit der längsten Pfeife und die ist etwa zehn Meter lang. Und so baut sich der klang von diesem ganz tiefen Prinzipal-Registern bis zu den höchsten auf. 16 Fuß, darauf 8 Fuß 4 Fuß usw. Jetzt klingt das schon fast wie eine richtige Orgel, aber nun kommen noch einige Mischregister dazu, Klangkronen nennen wir sie. Die bestehen pro Register aus mehreren Pfeifen. Die machen diesen silbrigen Klang der Orgel aus.
Eine Besonderheit bei der Gewandhausorgel sind die so genannten Zungenstimmen, ein Trompetenwerk, das horizontal in den Raum hineinragt und ordentlich Krach macht.
Orgelspielen sieht ja immer so wahnsinnig kompliziert aus. Mit den Händen bedient man mehrere Tastenreihen und die Register. Und selbst mit den Füßen bedient man eine Klaviatur. Dagegen ist Schlagzeug spielen mit Händen und Füßen ja noch recht überschaubar. Schönheit sagt, ein gutes Klavierspiel in jungen Jahren ist die halbe Miete. Sobald es die Körpergröße hergibt, kommen die Füße dazu.
Das war jetzt nur mit den Füßen gespielt. Das geht hier im mitteldeutschen Raum besonders auf die Orgelmusik von Johann Sebastian Bach zurück. Von Bach berichten die Zeitgenossen ja, dass er mit den Füßen genauso geschickt spielen konnte wie mit den Händen.
Michael Schönheit bedient die Orgel an einem mobilen Spieltisch, der auf dem Orchesterpodium steht. Die Orgel selbst wird hier elektronisch angesteuert.
Eigentlich ist das wie ein kleiner Computer und deswegen dauert das auch ein bisschen, wenn ich die Orgel einschalte, bis der Computer hochgefahren ist. Interessant sind vor allem die technischen Möglichkeiten bei so einem modern ausgestatteten Instrument. Man kann eigentlich unbegrenzt Klangfarben speichern und durch Knopfdruck abrufen, was bei einer Orgel im 18. oder 19. Jahrhundert natürlich noch nicht gegangen ist.
Und auf so einer Orgel mussten nicht nur die Register mechanisch gezogen werden, auch die Luft musste unter körperlicher Schwerstarbeit in die Pfeifen gepumpt werden. Ich telefoniere mit dem Orgelbauer Reinalt Klein. Der kennt sich aus mit dem Innenleben der Orgel.
Früher gab es die sogenannte Balganlage. Bei großen Orgeln konnten das bis zu zwölf Bälge sein. Die waren meistens im großen Turm oder im Dachboden montiert und wurden dann von einer oder mehreren Personen betätigt, über Tritte oder Züge mit dem Körpergewicht. Man stellte sich auf große Hebel drauf, die so die Bälge aufdrückten. Dann ließ man los und der Balg unter dem eigenen Gewicht sackte dann wieder zusammen und drückte den in ihm gefangenen Wind in die Windkanäle der Orgel.
Diese Helfer hießen Kalkanten. Das waren städtische oder kirchliche Angestellte, die auch eine Ausbildung hatten. Einen Balg zu betätigen, war nämlich gar nicht so einfach. Man musste schon genau wissen, wie das geht, damit die Orgel auch schön klingt.
In so einer Orgel steckt also ganz schön viel Technik und auch eine Menge Arbeit. Um eine mittelgroße Orgel zu bauen, muss man mit bis zu 10.000 Arbeitsstunden rechnen, verteilt auf drei bis vier Gesellen samt Meister. Bei größeren Modellen arbeiten auch schon mal 20 bis 30 Leute an einer Orgel. Die Orgelbauer spalten sich in zwei Lager. Es gibt jene, die möglichst viele fertige Teile einkaufen und die dann zusammenbauen und es gibt Orgelbauer wie Reinalt Klein, die alles selber machen.
Wir kaufen das Holz ein – Eiche, Fichter, Kiefer – alles was wir brauchen. Genauso kaufen wir in Hüttenwerken Zinn- und Bleiwaren ein. Diese großen, schweren Sachen werden dann bei uns zersägt, zugeschnitten, ausgehobelt usw. bis wir alle Holzstücke auf Maß haben. Zinn und Blei wird eingeschmolzen, zu Platten gegossen und auf die erforderlichen Stärken gehobelt. Davon werden dann die Pfeifen gebaut.
Wer an Orgelmusik denkt, denkt zuerst an die Kirche. Hier gehört das Instrument ja fast zum Inventar. Seinen Ursprung hatte die Orgel aber ganz woanders, berichtet mir Arvid Gast, Professor für Orgel an der Musikhochschule Lübeck.
Die ersten Orgeln stammen aus der Antike. Das waren Wasserorgeln, bei denen der Winddruck mittels Wasser erzeugt wurde. Die Orgel war in dieser Zeit ursprünglich ein weltliches Instrument, das z.B. Spiele in den großen Arenen begleitete. Wenn z.B. sportliche Wettkämpfe stattfanden, wurde auf der Orgel gespielt, denn der große Vorteil eines solchen Instruments ist ja, dass man damit große Räume und Arenen beschallen kann.
Und auch wenn wir die Orgel heute als Konsens-Instrument in der Kirche kennen – früher war das ganz und gar nicht selbstverständlich.
Es gab im Mittelalter den Streit, ob die Orgel im kirchlichen Raum überhaupt zulässig ist. Sie galt dann doch als weltliches Instrument, was von der Andacht ablenkt. Und so gibt es bis in die Reformation hinein immer wieder Streitigkeiten, ob das Instrument innerhalb des Gottesdienstes überhaupt erklingen darf.
Schließlich eroberte die Orgel dann doch den sakralen Raum. Auch weil man in Kirchen und Klöstern das nötige Wissen, handwerkliche Fähigkeiten und die finanziellen Mittel hatte, um solche komplexen Instrumente zu bauen.
Dort waren sie natürlich auch Repräsentations-Instrumente. Die Orgel als Abbild mathematischer Ordnungen, die man so ähnlich wie astronomische Uhren als große Kunstwerke baute.
Doch die Kirche sollte diese Kunstwerke nicht allein für sich behalten. Im 19. Jahrhundert fand man die Orgel auch immer öfter im Konzertsaal vor.
Das hat damit zu tun, dass sich das ganze Musikleben aus den Kirchen heraus entwickelte, hin zum bürgerlichen Leben, und somit auch die Konzertsäle Orgeln bekamen. Man wollte auf diese Musik nicht verzichten und baute diese Instrumente. Andererseits dienten sie auch als Orchesterersatz, wenn kein großes Orchester in den Städten vorhanden war. So war es in England, da wurden große Sinfonien auf den Konzertorgeln gespielt.
Dennoch hat die Orgel beim Konzertpublikum nicht immer einen leichten Stand. Klar, als Organist kann man sich auch nicht unbedingt so als Rampensau inszenieren, wie Geiger oder Pianisten das mitunter tun. Es gibt einige wenige Ausnahmen, wie Cameron Carpenter, der den Orgel-Popstar mimt.
Für klassische Konzertorganisten wie Michael Schönheit hat das aber nichts mehr mit der eigentlichen Orgelliteratur zu tun.
Es ist etwas ganz eigenes. Ich denke, dass das eine Bereicherung ist. Ich sehe es aber als meine Aufgabe an, dass darüber hinaus nicht vergessen wird, dass es in der klassischen Literatur wirklich reizvolle Dinge und große Musik gibt.
Trotzdem hat man manchmal den Eindruck, dass die Orgel oft sehr akademisch gespielt wird. Doch genau hier sieht Schönheit die Chance, dass der Interpret die Orgel zu dem machen kann, was sie ist: Die Königin der Instrumente.
Es besteht natürlich die große Gefahr, dass die Orgel ein wenig statisch daherkommt. Dass das ein bisschen langweilig sein kann. Ich denke, da hat der Interpret eine große Aufgabe, dass dem nicht so ist. Entscheidend ist, dass Sie immer phantasievoll und mit Feuereifer spielen und die Leute mitnehmen.