Ein Dirigent und Bauer – so stellt sich mir Sir John Eliot Gardiner vor. Für einen der berühmtesten Dirigenten unserer Zeit klingt das erstmal relativ bescheiden.
Landwirtschaft und Musik sind meine beiden Leidenschaften. Da gibt es einige Parallelen, aber auch sehr viele Unterschiede.
In North Dorset im Südwesten Englands betreibt Gardiner einen Bio-Bauernhof. Ein schönes Kontrast-Programm zum Musikalltag, der ihn ohnehin schon ganz gut ausfüllen dürfte.
Chöre, Orchester und eine eigene Plattenfirma
Gardiner hat in seiner Laufbahn mehrere Chöre und Orchester gegründet, ist ein gefragter Dirigent und betreibt obendrein noch seine eigene Plattenfirma. Damit hat er sich frei gemacht von Vermarktungszwängen. Mehr künstlerische Selbstbestimmung geht nicht.
Selbstbestimmung ist bei meiner Arbeit sehr wichtig. Sie ist sogar notwendig. Wenn man ein junger Dirigent ist, ist das Beste, was einem passieren kann, dass man Leute findet, die mit einem arbeiten wollen und die einem erlauben, sie zu dirigieren. Mit denen man sogar ein eigenes Ensemble formen kann. Dieses Ensemble nach den eigenen, ästhetischen Vorstellungen zu formen, das ist toll.
Als Kontrollfreak sieht sich Gardiner aber nicht. Das Verhältnis zwischen Orchester und Dirigent basiert auf Sympathie.
Ich bin kein Kontrollfreak. Es liegt in der Natur der Sache, dass man als Dirigent auch etwas kontrollieren muss. Aber das Zeitalter der tyrannischen Dirigenten ist vorbei. Das Verhältnis zwischen Orchester und Dirigent basiert auf Sympathie. Man selbst bringt zwar Ideen und muss sich vorbereiten. Aber die Fähigkeiten, meine Ideen umzusetzen, liegt beim Orchester. Es müssen alle Beteiligten überzeugt sein von der Idee. Nur dann funktioniert die Zusammenarbeit.
Gardiner hasst Wagner und liebt Bach
John Eliot Gardiner gilt als Perfektionist. In den 90ern hat er alle Schumann-Symphonien mit Original-Instrumenten und Originalbesetzung einspielen lassen. Mit seiner professionellen Gründlichkeit eckt er auch schon mal an und geht mit bedeutenden Orchestern im Streit auseinander. Sein selbstbestimmter Arbeitsethos erlaubt ihm das.
Gardiner hasst Wagner und liebt Bach. Etliche Neu- und Wiederentdeckungen gehen auf sein Konto. Für ihn ist es ein Leichtes, die hohen und doch so alten Ideale der klassischen Musik frischzuhalten.
Für mich ist das selbstverständlich. Wir stehen gerade vor dem Problem, dass junge Leute nicht das gleiche empfinden. Ich glaube, wir müssen überdenken, wie wir die Musik vom Podium zum Publikum transportieren.
Junge Leute müssen selbst Musik machen
Der beste Weg ist, wenn Kinder selbst Musik machen. Es muss in der Schule oder zu Hause anfangen. Sobald sie ein Instrument spielen oder mit ihre Stimme kennenlernen, können sie sich mit der Musik identifizieren. Der nächste Level ist der Spaß, den man hat, wenn man zusammen in einer Gruppe Musik macht. Und ich glaube Musiker müssen viel freundlicher gegenüber Kindern sein. Viele Orchestermusiker gehen im Wrack auf die Bühne, sehen langweilig aus und schauen grimmig drein. Was sollen Kinder damit anfangen?
John Eliot Gardiner probt gerade am Gewandhaus. Schumann steht auf dem Programm. Auf der Bühne steht später auch der Monteverdi Chor. Sein eigener Chor, den er vor 50 Jahren gegründet hat. Bevor er aber die anstehende Probe vorbereitet, gilt es noch, einen wichtigen Anruf zu machen.
Schafe können nicht singen
Es gibt noch ein paar Dinge mit dem Schäfer in North Dorset zu klären. Der Winter war schwierig. Zu viel Regen, zu wenig Frost. Das ist schlecht für die Schafe, deren Futter unter der Nässe leidet. So nüchtern das klingt, Parallelen zur Musik gibt es dennoch. Man sagt Gardiner nach, dass seine Interpretationen oftmals sehr organisch klingen. Für ihn selbst ist das dann aber doch ein bisschen weit hergeholt. Denn eins ist ja wohl klar:
Musik kann organisch sein. Aber Schafe und Rinder können weder singen noch mit einem reden.