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Saitenwechsel: Junge Solisten und Dirigenten erobern die Konzertsäle

Mag sein, dass das Klassik-Publikum immer älter wird, auf der Bühne hingegen kann von Nachwuchsproblemen keine Rede sein. Manche Solisten und Dirigenten arbeiten schon in ihren Zwanzigern mit den großen Orchestern. Aber wie kommt so früh dahin? Wie groß ist der Konkurrenzdruck? Prallen im Orchester Generationen aufeinander? Zeit für einen Saitenwechsel.

wird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Saitenwechsel | detektor.fm entdeckt Klassikwird präsentiert vom Gewandhaus zu Leipzig

Mein Name ist Manfred Ludwig, ich bin 28 Jahre alt und spiele Flöte im Gewandhausorchester. Vor drei Tagen habe ich meinen unbefristeten Vertrag unterschrieben und bin jetzt bis zum Rentenalter angestellt.

Mit 28 Jahren festangestellt in einem renommierten Orchester – für Manfred Ludwig läuft’s wie geschmiert. Und für manchen Musiker aus dem Pop-Business klingt das nach Luxus: Eine Festanstellung. Der Weg dahin ist aber gar nicht so einfach. Ein abgeschlossenes Studium ist schon mal Grundvoraussetzung. Je renommierter die Musikhochschule und die Professoren, desto größer sind die Chancen auf dem Orchster-Arbeitsmarkt.

Jahr für Jahr strömen junge Absolventen an die Konzerthäuser und bewerben sich auf freie Stellen. Mit den richtigen Stationen im Lebenslauf und ein bisschen Glück wird man zum Vorspiel eingeladen. Es ist wie in fast jeder Branche: Der Konkurrenzdruck ist ganz schön groß.

Deswegen lernt man früh: Du musst dich möglichst schnell durchzusetzen und dir einen eigenen Stil, eine eigene Persönlichkeit zulegen, um aus dieser Masse an Mitbewerbern herauszustechen. Du hast nur diese paar Minuten auf der Bühne. In der ersten Runde ist das Vorspiel meist noch hinter dem Vorhang, aber wenn du es mal in die zweite Runde geschafft hast, musst du einfach musikalisch als auch persönlich überzeugen. Die Leute können dich dann vielleicht nicht sprechen hören, aber sie stellen natürlich nicht nur den Musiker sondern auch den Kollegen ein.

Ludwig ist im Gewandhausorchester angekommen, als Musiker und Kollege. Aber wie ist das eigentlich, wenn man als Jungspund zu einem alteingesessenen Orchester stößt? Da prallen doch Generationen aufeinander!?

Ich war 23, als ich hierhergekommen bin und wenn man aus einer Klasse kommt, die durchschnittlich sehr gut ist, denkt man in seinem jugendlichen Leichtsinn: „Ich bin der König, ich kann alles“. Man hat das Klischeebild vom älteren Kollegen, der nicht mehr die Kondition und die Technik hat. Aber als ich im realen Betrieb angekommen bin, musste ich ganz schnell lernen, dass es gerade die älteren und erfahrenen Kollegen sind, von denen man wahnsinnig viel lernt.

Als Ludwig in einer Oper mal den Faden verlor, war es eben der dienstälteste Kollege in der Gruppe, der ihm den Einsatz gab. Gleichermaßen geben ihm die erfahrenen Mitmusiker im Vorfeld von Konzertwochen oder Opernproduktionen wertvolle Tipps, wie:

„Die Stelle ist schwierig, schau dir die besonders an, da musst du mit den Geigen zusammen sein.“ Da habe ich ganz schnell gemerkt, dass diese Generationenkonflikte eigentlich gar keinen Platz haben. Vielmehr lernt man gegenseitig voneinander. Als ich frisch aus dem Studium zum Orchester kam, war es so: Man ist beschwingt, spielt alles zum ersten Mal. Die Kollegen spielen zum hundertsten Mal Schwanensee. Man setzt sich in die Probe und sagt: „Schwanensee, cool! Eine tolle Musik!“ Dadurch reißt man auch die älteren Kollegen wieder mit.

So profitieren beide Seiten vom Orchesternachwuchs. Und wenn’s doch mal wackelig wird, steht vorne ja immer noch der alte, erfahrene Dirigent. Denkste! Mitunter stehen da Mittzwanziger, die schon Orchester auf der ganzen Welt unter ihren Fittichen hatten. Der Franzose Lionel Bringuier ist so ein Jungdirigent.

Es lief alles wie geschmiert. Ich habe das viele Jahre studiert. Angefangen habe ich mit fünf Jahren im Konservatorium in Nizza. Mit 14 habe ich am Pariser Konservatorium dirigieren gelernt. Neben dem Studium bin ich zusätzlich immer zu Orchesterproben und Konzerten gegangen. Ich habe das geliebt. Wenn ich also nicht im Konservatorium war, konnte man mich meistens in den Konzertsälen von Paris finden, wo ich den großen Dirigenten und Orchestern zugeschaut habe.

Heute dirigiert Bringuier das Los Angeles Philharmonic Orchestra, ist designierter Chefdirigent der Züricher Tonhalle und debütiert demnächst auch im Gewandhaus. Wie kann man bitteschön mit 26 schon so eine große Nummer sein im Dirigentenmetier?

Das wichtigste ist die Leidenschaft und Liebe zur Musik. Eine Partitur zu studieren und mit Orchestern zusammenzuarbeiten – das ist mein Leben. Ich debütiere gerade mit den Rotterdamer Philharmonikern. Wir haben heute Werke von Ravel geprobt. Eine wundervolle Musik!

Und klar: Das wichtigste ist die Leidenschaft und Liebe zur Musik. Eine Partitur zu studieren und mit Orchestern zusammenzuarbeiten – das ist sein Leben.

Um dahin zu kommen, wo Brignuier jetzt ist, bedarf es schon eines großen Talents. Und sicherlich muss man – genau wie in der Popwelt – auch die richtigen Leute kennen. Sei es der Professor an der Hochschule, der Angestellte einer Plattenfirma oder das Jurymitglied eines Wettbewerbs. Zu letzteren gehört Pavel Gililov, Jury-Präsident der Beethoven Competition in Bonn. Für viele Musiker war der Wettbewerb schon ein Karriere-Sprungbrett, denn es winken nicht nur Geldpreise, sondern auch Konzertverpflichtungen. Gililov sagt: Wenn ein Musiker mit viel Überzeugung spielt und alle Fäden, die sich durch das Stück ziehen, verstanden hat, hat das eine enorme Wirkung. Aber:

Es gibt z.B. auch Pianisten, die alles sehr korrekt spielen, dafür jedoch eine schwache Ausstrahlung haben. Die sind für das Podium und den Konzertberuf weniger geeignet, weil sie nicht imstande sind, eine große Menge von Leuten auf die musikalische Reise mitzunehmen. Sie können als Lehrer tätig sein oder generell als Kulturträger aber nicht als große Solisten.

Und dann wiederum gibt es Menschen wie Lionel Brigniuer.

Es gibt Menschen, die ich als „alte Seelen“ betrachte. Das sind Menschen, die in kleinem Alter schon eine enorme Erfahrung in sich tragen, eine gewisse Weisheit. Das ist ein ganz besonderes Talent. Ich nehme an, Brignuier gehört auch dazu.

Aber wie ernst können Musiker einen Dirigenten nehmen, der vom Alter her deren Sohn sein könnte? Bringuier sagt: Musiker schauen nicht auf das Alter des Dirigenten. Sie interessiert, was der Dirigent will und wie gut er die Partitur kennt.

Musiker schauen nicht auf das Alter des Dirigenten. Sie interessiert, was der Dirigent will und wie gut er die Partitur kennt. Meine Vision vom Dirigieren ist, nicht wie ein Diktator aufzutreten, sondern zusammen Musik zu machen. Denn die Musiker spüren es, wenn ein Dirigent genau weiß, was er will. Dann geben sie auch ihr bestes.

Mit seiner selbstbewussten Art gehört Brignuier zu einer jungen Generation, die in den Konzertsälen für frischen Wind sorgt. Und vielleicht liegt genau hier die Chance, alte Strukturen auch mal in Frage zu stellen, natürlich immer mit dem nötigen Taktgefühl, Manfred Ludwig.

Musik ist so persönlich. In allem, was man spielt, bringt man ja seine eigenen Emotionen mit ein. Wenn man dann irgendwas anders empfindet oder etwas anders gestalten möchte, muss man natürlich sehr diplomatisch vorgehen, um das zu äußern und zu sagen: „Ich möchte das jetzt mal anders machen, als man es die letzten zehn Jahre gemacht hat.“

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