+++Saitenwechsel wird präsentiert vom Gewandhausorchester.+++
Herbst 1938. Der Nationalsozialismus breitet sich aus, die Judenverfolgung ist in vollem Gange. Das betrifft auch den 17-jährigen Herschel Grynszpan. Er versteckt sich in Paris, lebt illegal hier. Aus einer Postkarte seiner Schwester erfährt er, dass seine Familie deportiert worden ist. Sie bittet ihn um Geld, doch er ist selbst mittellos.
Am Vormittag des 7. November schreibt Grynszpan einen Abschiedsbrief an seine Eltern, kauft sich einen Revolver und erschießt damit den deutschen Botschaftssekretär. Für die Nationalsozialisten ist das Attentat ein willkommener Vorwand für eine landesweite Welle antisemitischer Gewalt. Sie geht als Reichspogromnacht in die Geschichte ein.
Eine Menschheitsparabel
Das Schicksal des Herschel Grynszpan ist der rote Faden in „A Child Of Our Time“. Ein Oratorium des englischen Komponisten Michael Tippett. Doch er will nicht einfach nur die Geschichte des jüdischen Attentäters nacherzählen. Er nutzt sie als Vorlage für eine allgemeingültige Menschheitsparabel. Was passiert, wenn Menschen andere Menschen unter Druck setzen? Sie ausgrenzen? Und wie reagiert jemand auf so eine Situation?
Zeitloser Blues
Tippetts Oratorium entsteht in den Jahren 1939 bis 1941, also mitten im 2. Weltkrieg. In einer Zeit, in der man die Ausmaße des Holocaust lediglich erahnen konnte. So gesehen stecken in „A Child Of Our Time“ fast schon prophetische Botschaften. Tippet wird später sagen, er habe mit dem Stück seine wahre Rolle gefunden, er wolle den Blues des 20. Jahrhunderts singen. Tatsächlich ist das Thema aber zeitlos. Gerade in Anbetracht aktueller Ereignisse.
„A Child Of Our Time“ ist ein deutliches Statement gegen Diktatur, Rassismus und Unterdrückung. Michael Tippett will das Werk aber vor allem als Versöhnungswerk verstanden wissen.
Warum „A Child Of Our Time“ genauso gut auch ein Kind unserer heutigen Zeit sein könnte und wie Tippett diese schwere Kost musikalisch umsetzt, das ist unser Thema im Saitenwechsel.