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Eins mit der Partitur – Riccardo Chailly. Foto: Decca/ © Gert Mothes
Eins mit der Partitur – Riccardo Chailly. Foto: Decca/ © Gert Mothes

Saitenwechsel: Riccardo Chailly und das Gewandhausorchester

Die goldene Ära

Riccardo Chailly war elf Jahre lang so was wie der Resident-DJ am Gewandhaus. Und hat dort eine Tradition fortgeführt, die DJ Mendelssohn vor über 150 Jahren begonnen hat. Wie hat sich der Sound des Orchesters in dieser Dekade verändert? Im Saitenwechsel blicken wir zurück auf die „Ära Chailly“.

+++Saitenwechsel wird präsentiert vom Gewandhausorchester.+++


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Saitenwechsel wird präsentiert vom Gewandhausorchester.

Wenn ein DJ einen Stamm-Club hat, in dem er regelmäßig auflegt, dann ist er dort der Resident-DJ. Eine geläufige Praxis in der Popkultur. Der Resident-DJ prägt den Sound eines Clubs oder einer Veranstaltungsreihe. Er ist das Aushängeschild. Und bestenfalls ein Publikumsmagnet.

So gesehen ist Riccardo Chailly der Resident-DJ des Gewandhausorchesters. Und das seit elf Jahren. Eine Ära, die nun endet. Chailly geht nach Mailand. An die Oper. Er hinterlässt ein Vermächtnis, das von Klassikkennern weltweit in höchsten Tönen gelobt wird. Zum Beispiel vom englischen Musikkritiker Philip Clark, der für den Guardian schreibt.

Man wird das als „goldene Ära“ ansehen. Er hat eine Tradition weitergeführt, die – um mal bei der DJ-Analogie zu bleiben – mit DJ Mendelssohn vor über 150 Jahren im Gewandhaus angefangen hat. Chailly kam vor elf Jahren. Da war das Gewandhausorchester schon ziemlich gut in Form. Aber durch seine sorgfältige Vorbereitung der Partituren und seine intensiven Orchesterproben hat er diesen Leipzig-Sound weiterentwickelt und ihm seinen persönlichen Stempel aufgedrückt.

Italophiler Klang vs. deutsche Tradition

Riccardo Chailly hat rund 280 Konzerte in Leipzig dirigiert, darunter 18 Uraufführungen. Besonders angetan haben es ihm die Sinfonien von Gustav Mahler. Zu dessen 100. Todestag hat Chailly eigens ein Mahler-Festival ins Leben gerufen.

Darüber hinaus hat sich Chailly intensiv mit Werken von Brahms, Beethoven, Bach und Mendelssohn beschäftigt. Komponisten, die mitunter vor langer Zeit an selber Stätte gewirkt haben. Die verantwortlich sind für diesen Leipzig-Sound, von dem so oft die Rede ist. In den vergangenen elf Jahren hat Riccardo Chailly diesen Sound um eine neue Facette bereichert, sagt der Musikjournalist und Klassik-Blogger Manuel Brug.

Musikjournalist Manuel Brug - Foto: Sergej Glanze

Foto: Sergej Glanze
Er hat ihm einen gewissen italophilen Klang gegeben, aber auch mit einer deutschen Tradition spielend. Sein Ideal ist ein sehr schnelles, schlankes, melodiebetontes Musizieren, durchaus in einer italienischen Tradition, was diesem deutschen – im besten Sinne des Wortes – Orchester sehr gut getan hat.Musikjournalist Manuel Brug

Gewöhnungsbedürftige Tempi

2005 hat Riccardo Chailly das Amt des Gewandhauskapellmeisters, also des Chefdirigenten übernommen. Gewandhausdirektor Andreas Schulz hat damals die Strippen im Hintergrund gezogen. Und er erinnert sich noch gut an die ersten Konzerte. Vor allem an die Tempi, mit denen sich das Stammpublikum erst mal anfreunden musste.

Sie waren sehr schnell. Ich erinnere mich noch gut an die erste Beethoven 9, die er hier in Leipzig dirigiert hat. Das Publikum war geradezu schockiert über das Tempo, das er vorgelegt hat. In der Partitur sind diese Tempoangaben aber durchaus so vorgegeben. Chailly ist ein sehr genauer Studierer der Partitur.

Chailly wird gern als denkender Musiker beschrieben. Als einer, der intellektuell an Partituren herangeht, auf dem Dirigenten-Pult aber genauso gut messerscharfe Instinkte und eine ausgefeilte Schlagtechnik walten lässt. Man kann ihm nur folgen oder man ist raus. Abgebrüht ist Chailly auf der Bühne deswegen aber keinesfalls.

Riccardo Chailly - Foto: Decca/ Gert Mothes

Foto: Decca/ Gert Mothes
Lampenfieber habe ich auf dem Pult des Gewandhauses seit meinem Debüt. Dieses Feuer zwischen den Musikern und mir habe ich bis heute nicht vergessen. Und wenn wir zu den Konzerthäusern in aller Welt reisen, spüren die Menschen dieses Feuer.Riccardo Chailly

Ein Feuer, das international für Jubel gesorgt hat, im Konzertsaal wie im Feuilleton. Meistens jedenfalls, sagt Musikkritiker Philip Clark.

In den Kritiken konnte man hin und wieder lesen, dass Chaillys Auftritte sehr maskulin wirken. Er ist ja auch ein großer, stämmiger Typ und strahlt so eine Art maskuline Energie aus. Das finden manche etwas erdrückend.

Wie ein dreifacher Espresso

Seine Energie hat Riccardo Chailly nicht nur im Konzert sondern auch in der Probe ausgestrahlt. Und man kann sich gut vorstellen, dass elf Spielzeiten nicht ganz ohne Reibung ablaufen. Das haben nicht nur die Musiker auf der Bühne zu spüren bekommen, sondern auch die Kollegen hinter der Bühne, wie Andreas Schulz.

Gewandhausdirektor Andreas Schulz - Foto: Gewandhaus

Foto: Gewandhaus
Unser Running Gag lautet: Mit Herrn Chailly zusammenzuarbeiten ist wie sich täglich einen dreifachen Espresso zu injizieren. Er weiß sehr genau, was er will. Hat ein untrügliches Gespür, wo etwas hingehen muss. Und das hat er unnachgiebig eingefordert. Das hat natürlich auch für Reibung gesorgt. Immer mit der Maßgabe: Wenn wir Weltspitze sein wollen und in den Top10 stehen wollen, dann ist das auch viel anstrengende Arbeit.Gewandhausdirektor Andreas Schulz

Eine Orchesterprobe mit Riccardo Chailly – das heißt: alles geben. Oder besser: mehr als alles. Nicht 50 oder 90 Prozent, sondern eher so 150 Prozent. Und wer dann noch begreift, dass das alles nur zum Wohle der Musik ist, der hat auch das System Chailly begriffen, meint Manuel Brug.

Es ist kein autokratisches Denken. Er hat es immer verstanden, seine Musiker dafür zu begeistern, dass da jetzt nicht einer oben böswillig irgendwelche Anweisungen gibt und seine Musiker zu Klangvieh degradiert. Er hat sie animiert, mitzudenken. Das heißt schon: Disziplin und Konzentration. Nicht nach dem Motto: Wir tippen das jetzt nur mal an in den Proben und das wird dann schon in der Aufführung. Einer wie Chailly möchte, dass das auch in den Proben schon steht, um dann so ein Stück letzten Glanz in der Aufführung zu geben.

Im Juni gibt Riccardo Chailly sein Abschiedskonzert mit dem Gewandhausorchester. Natürlich beendet er seine Amtszeit mit einer Mahler-Sinfonie. In den Proben wird der Maestro von seinen Musikern nochmal alles einfordern. Und bei all dem musikalischen Ernst eins nicht vergessen:

Ich liebe Disziplin und Stille. Wenn diese zwei Sachen 100 Prozent klar sind, dann gibt es Raum für Spaß. Auch für Scerze! – Riccardo Chailly

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