Wir sind jetzt hier ins unserem Überaum im Keller des Gewandhauses. Dann gibt es noch einen Paukenraum, den wir auch nutzen können. Der Raum ist schallisoliert und man kann sich hier in Ruhe auf die Stücke vorbereiten.
Gerhard Hundt ist Schlagzeuger im Gewandhausorchester und in seiner 40. Spielzeit. Er zeigt mir seinen Proberaum, in dem allerhand Trommeln aber auch ein Vibraphon und ein Glockenspiel stehen. Als Orchesterschlagzeuger muss man ganz schön vielseitig sein.
Dank der Dämmung kann Hundt in diesem Raum so laut spielen, wie er will. Aber auch zu Hause kann er das Trommeln nicht lassen. Zum Schutz der eigenen Ohren und damit’s auch mit dem Nachbarn klappt, übt Hundt auf einem so genannten „Practice Pad“. Das ist aus Gummi und macht so gut wie keine Geräusche.
Immer wenn ich den Fernseher anstelle um Fußball zu gucken, denke ich mir: Nur so vor dem Fernseher zu sitzen ist eigentlich ein bisschen dröge. Da stelle ich mir immer die Übe-Trommel dazu. Und da die ja keinen Lärm macht, kann ich während des Fernsehens meine Hände lockern und sie technisch auf Höchststand bringen. Um die Technik zu üben, brauche ich ja keine Noten. Und wenn das Fußballspiel schlecht war, habe ich wenigstens geübt.
Von außen betrachtet sieht das bei den Orchester-Schlagzeugern ja immer so einfach aus. Das bisschen Triangel, Schelle und Zimbel kann doch so schwer nicht sein! Von wegen. Das Rhythmusgefühl, dass man dafür mitbringen muss, ist nicht ohne. Kann man das denn durch viel Proben einfach so erlernen?
Man muss meiner Meinung nach die rhythmische Anlage haben. Ich merke das jetzt immer, wenn ich Kinder testen soll, ob die für Schlagzeug geeignet sind. Das merkt man sehr, wie ein Kind den Rhythmus aufnimmt, wie das in den Körper geht und was es für einen Klangsinn hat, auch für das Instrument. Das Rhythmusgefühl kann man zwar entwickeln, aber es muss schon vorhanden sein. Man kann das nicht erst erlernen, meiner Meinung nach.
Auch wenn die Schlagzeuger im Orchester meist hinten stehen, gibt es Stücke, in denen sie eine tragende Rolle spielen. Das bekannteste ist Boléro von Ravel.
Bevor Gerhardt Hundt ein Stück mit dem Orchester probt, bereitet er seinen Part erst mal selbst zu Hause vor, bis er ihn richtig gut beherrscht. Zur ersten Probe mitsamt Orchester und Dirigent wird dann geklärt:
Was will der Dirigent? Kann er das, was ich ihm anbiete, für seine Interpretation verwenden? Im Idealfall ist das so – ein Geben und Nehmen. Dann wird das Stück erarbeitet, weil ein Zusammenspiel immer noch anders ist, als wenn ich nur alleine spiele.
Ich begebe mich aus dem Schlagzeug-Keller ein paar Stockwerke nach oben in den Gaderoben- und Proberaum von Gudrun Hinze. Sie spielt Piccolo-Flöte und übt gerade Tschaikowskys sechste. Aber macht das denn überhaupt Spaß, ganze Sinfonien alleine im stillen Kämmerlein zu üben, so ganz ohne Orchester?
Wenn man sich schöne solistische Stücke raussucht, ist das ganz herzerfrischend. Mir fehlt es dann auch ganz schnell, wenn ich mal ein paar Tage nicht gespielt habe. Dann sehne ich mich richtig danach, dass man mit seinem Atem Töne erzeugt. Das ist ja auch etwas sehr persönliches.
Und etwas, dass viel Übung bedarf. Klar, irgendwann merkt sich der Körper, was die Finger und der Mund wann machen sollen. Die Muskulatur muss man aber schon sehr regelmäßig auf Betriebstemperatur halten.
Gerade die mechanischen Sachen, was die Fingertechniken betrifft, da hat man eigentlich, wenn man das schon so lange wie ich macht, ein gutes Körpergedächtnis. Das ist auch das, was am wenigsten verloren geht, wenn man mal eine Weile nicht übt. Was aber leider wahnsinnig schnell weggeht, ist die Ansatzmuskulatur – innerhalb von Stunden. Das ist ganz schlimm. Es ist wie ein Fluch, dass sich wirklich nach sechs Stunden nicht spielen, die Muskulatur zurückbildet und das spürt man. Das heißt, wenn ich nicht mindestens zwei Mal am Tag übe, spüre ich das am nächsten Tag sehr deutlich.
Doch beim Proben kommt es nicht nur auf die physischen Fähigkeiten an. Detlef Bensmann ist Musikpädagoge an der Universität der Künste in Berlin und meint: Wichtig ist auch, dass man den Hintergrund des zu probenden Stückes versteht.
Wann ist das entstanden, warum ist es entstanden und in welchem Zusammenhang ist es entstanden? Also musiksoziologisch zu kennen, sodass man auch die richtige Einstellung durch Bücher oder andere Medien außerhalb der Probenarbeit sich aneignen kann. Um eine mentale Einstellung zu dem Werk zu finden, die auch des Komponisten zeitgemäß ist.
Wenn also sowohl die Fertigkeiten als auch das Hintergrundwissen da ist, kann es in den Konzertsaal gehen. Klingt alles relativ machbar, wäre da nicht dieses Lampenfieber. Das kennt auch Piccolo-Flötistin Gudrun Hinze.
Ganz weg ist das nie, glaube ich. Man hat immer einen höheren Erregungsgrad, wenn die Stelle dann kurz bevor steht. Wenn wir neunte Beethoven spielen und da spiele ich nur den Schluss. Ich sitze da 40 Minuten und denke: Ja, du kannst das und du hast das schon 100.000 Mal gespielt, gar kein Problem. Dann kommt der letzte Akkord von meinem Einsatz – und der Puls geht hoch, das ist einfach so. Da kann man nichts gegen machen!
Kann man Lampenfieber denn nicht einfach „wegproben“? Nachgefragt beim Musikpädagogen Bensmann.
Zu wissen, dass man ein Stück kann ist eine der wichtigsten Voraussetzungen. Wenn ich auf die Bühne gehe und ich bin unsicher, ob ich mich verspielen werde, dann wird mich das in jeder Hinsicht verunsichern. Wenn jemand darunter leidet, kann man mentale Übungen machen – auch Körper-, Konzentrations- und Entspannungsübungen. So etwas, was ich mit meinen Studenten an der Hochschule immer am Anfang eines Unterrichtstages mache. Das kann alles dabei helfen, sich wirklich gut zu konzentrieren.
Also, Konzentration, Contenance und die Gewissheit, dass man alles kann – dann wird’s schon schiefgehen. Und so ein bisschen Lampenfieber gehört ja auch dazu. Auch in der 40. Spielzeit von Schlagzeuger Gerhard Hundt.
Man wird abgeklärter, kann aber nicht sagen, so wie vielleicht ein Arzt: „Ich habe diese Operation tausend Mal gemacht, mir kann nichts passieren.“ In der Kunst bleibt immer ein Restrisiko. Man kann immer sagen: „Ich fühle mich heute gut.“ Aber man kann immer erst hinterher sagen: „Ich war heute gut.“