Gut Ding will keine Weile haben
Oft ist es doch so: Die großen Hits entstehen nicht am Reißbrett oder nach unendlicher, zermürbender Studioarbeit. Sie passieren schnell mal nebenbei. Der Song „Little Numbers“ von BOY folgt ziemlich genau diesem Narrativ.
Als Sonja Glass und Valeska Steiner ihr erstes Album schon so gut wie im Kasten haben, schreiben sie noch fix ein Demo über eine verliebte Person, die sehnsüchtig auf den Anruf ihres neuen Love Interest wartet. „Normalerweise dauert das bei uns Wochen“, sagt Valeska. Die erste Strophe ist diesmal nach anderthalb Stunden fertig.
Wir haben den Song eigentlich gitarrenlastig und melancholisch aufgebaut. Dann sind wir einmal weggegangen und unser Produzent Philipp Steinke hat noch ein paar Stunden daran gearbeitet. Am nächsten Morgen meinte er: „Hey, ich hab‘ mal was probiert. Es ist jetzt plötzlich so ein Gute-Laune-Song. Ihr mögt es wahrscheinlich überhaupt nicht.“ Er hat es uns vorgespielt und dann war es so: „Alles klar, so muss es sein!“ Wir sind mega ausgeflippt.
Der Hit entsteht im Kinderzimmer
Ein einfaches Piano-Riff, das im Grunde einem Basslauf nachempfunden ist, bildet den Ausgangspunkt. Von hier bahnt sich das Arrangement seinen Weg Richtung Wohlfühl- und Euphorie-Pop der Marke Feist oder Phoenix. Letztere leihen BOY sogar ihren Schlagzeuger Thomas Hedlund, der auf vier Songs ihres Debütalbums „Mutual Friends“ zu hören ist. Für den treibenden Beat in „Little Numbers“ sorgt aber Marcel Römer, BOYs Live-Drummer, der u.a. auch bei Drangsal und Bosse seine Sticks im Spiel hat.
Ein Großteil des Songs entsteht im Elternhaus des Produzenten Philipp Steinke. In einem Kinderzimmer voller Instrumente und Equipment, wohlgemerkt auf etwa zwölf Quadratmetern und gerade noch genug Platz für ein Schlafsofa, das Valeska und Sonja nachts auf- und morgens wieder zusammenklappen.
Neben dem Piano spielt der Juno-Synthesizer eine wichtige Rolle. Ein Instrument, das BOY während der Aufnahmen ins Herz schließen. „Der atmet richtig und kann röcheln“, erzählt Valeska mit funkelndem Blick.
Die Magie des Unperfekten
Als der Instrumentalteil steht, soll eine Orientierungs-Spur für den Gesang her. Weil das Mikrofon noch im Flügel hängt, beugt sich Valeska kurzerhand über den Flügel und singt den Song kopfüber ein. Kurios: Als es so später im Studio darum geht, den Gesang in echt und gut aufzunehmen, will sich die Magie des Kopfüber-Moments nicht so recht einstellen und so landen Teile der Orientierungs-Spur in der finalen Abmischung.
Manchmal gelingt es einem, irgendetwas einzufangen und dann hat man leider das schlechte Mikrofon benutzt oder es ist noch irgendein Störgeräusch drauf, weil man es noch gar nicht ernst gemeint hat. Aber das ist eben manchmal genau das, was es ausmacht. Dieses leicht Unperfekte hat irgendetwas, das lebt. Etwas, das man nicht in einem perfekten Zustand erzeugen kann.
„Little Numbers“ entwickelt ein Eigenleben
Am Ende entsteht auf diese Weise BOYs erfolgreichster Song. Gefeiert von Musikpresse, Radios und DJs. In die Welt getragen von einem Werbespot der Lufthansa, vereinnahmt vom Fernseh-Sendungen wie dem Comedy-Format „Knallerfrauen“. „Little Numbers“ zählt heute 20 Millionen Abrufe auf Youtube und 33 Millionen Streams auf Spotify.
Der Song hat uns in vielen Ländern und auf vielen Ebenen Türen geöffnet. Er ist in die unterschiedlichsten Gefilde gereist, die man manchmal gar nicht kontrollieren kann. Manchmal läuft er bei irgendwelchen Fernsehsendungen im Hintergrund. Dadurch, dass der Song so eine Präsenz bekommen hat, fühlt er sich am weitesten weg an, im Sinne von: fast nicht von uns geschrieben. Er hat sich verselbstständigt.
In Tracks & Traces erinnern sich Valeska und Sonja an die Entstehung ihres Klassikers, vergleichen Demo mit Studioversion und verraten, warum der Song gar nicht so romantisch gemeint ist, wie er klingt.