Ein komplizierter Bruch
„Das sind Cornflakes“, sagt der Chirurg, als er Charlotte Brandis gebrochenen Fuß untersucht. Ein Fahrradunfall sorgt dafür, dass die Musikerin ein paar Monate nicht laufen kann und sich auf dem elterlichen Sofa einquartiert.
Der ganze Fuß war zerkrümelt und zerbröselt. Der Chirurg konnte das nicht perfekt nachbauen. So eine Verletzung bleibt. Ich dachte: „Wie krass ist das eigentlich, wenn jemand seine Beine verliert?“
Es sind solche Gedanken, die dafür sorgen, dass in Brandis Kopf kreativ irgendwas losgeht. Nur ist sie diesmal auf sich allein gestellt. Wir erinnern uns: 2009 bis 2018 bildet Charlotte Brandi zusammen mit Schlagzeuger Matze Pröllochs das Dreampop-Duo Me And My Drummer. Ihr Sound ist geprägt von Synthieflächen und Thermalbad-Hall. Zwei Alben entstehen in dem Zeitraum, dazu spielen sie unzählige Konzerte in ganz Europa, bis sich das Paar zuerst privat und dann auch musikalisch trennt.
Charlotte Brandi macht seitdem alleine weiter und bringt im Februar 2019 ihr erstes Soloalbum „The Magician“ raus. Darauf klingt sie weniger überzuckert, dafür intimer, organischer und zeitloser. Einer der zentralen Songs auf dem Album ist „My Days In The Cell“.
Verwandlung ist weiblich
Ein ganzes Musical habe sie sich ausgedacht, sagt Brandi. Übrig geblieben ist dieser Song um eine junge Frau, die sich in eine Pflanze oder ein Tier verwandelt. Die hinfällt und ihre Beine verliert und deswegen kein Mensch mehr ist und sich andere kreatürliche Dinge aussuchen muss, die sie dann werden kann.
Bei Kafka ist es typisch maskulin, dass das krasseste für den Mann sein muss, verwandelt zu werden. Für eine Frau ist das eigentlich nicht so weit weg. Dadurch, dass wir einen Zyklus haben, der uns einmal im Monat verwandelt und dass man auch Kinder auf die Welt bringen kann, was auch eine krasse Verwandlung mit sich bringt, ist es für uns etwas ganz natürliches.
Schmutzigkeit muss sein
Musikalisch unterfüttert wird dieses Szenario in „My Days In The Cell“ von Gitarren, Klavier, Streichern, einer Ukulele, einer Flöte (gespielt von Charlotte Brandis Mutter), „pseudo-lateinamerikanischen“ Rhythmen und Streichern. Fast alles selbst eingespielt, versteht sich.
Wenn man die Streicher so nackt hört, klingen sie sehr atmosphärisch, aber schlecht gespielt. Das ist aber oft genau das, was ich will. Wenn Töne ein bisschen absacken, macht das so eine ganz andere Schmutzigkeit in einem Lied, als wenn das perfekt gespielt worden wäre.
In Tracks & Traces nimmt Charlotte Brandi „My Days In The Cell“ Spur für Spur auseinander, erinnert sich an die Entstehungsphase mit dem gebrochenem Fuß und erklärt, warum sie dem Song eine Eins minus geben würde.