Wir müssen eine Gegenrealität erschaffen, um das organisierte Böse herauszufordern. Die Welt wird jeden Tag rückwärtsgewandter, die Politik konservativer. Ich glaube an die Macht der Träume. Wir messen der materiellen Welt zu viel Bedeutung bei und ignorieren die ungeheure Kraft, die in uns steckt.
…sagt Gaye Su Akyol nachdenklich. Die 33-jährige Musikerin und Künstlerin möchte im Interview nicht über Politik reden, in ihren Songs tut sie das aber sehr wohl. Dabei verzichtet sie auf Parolen, verpackt ihre Kritik lieber in ausdrucksstarken Metaphern. In dem Stück „Bağrimizda Taş“ singt sie beispielsweise: Das ganze Land ist ein Shisha-Café, wir ersticken in seinem Rauch.
Türkische Folkmusik und Klassik
Gaye Su Akyol ist in Istanbul geboren und aufgewachsen, sie ist die Tochter des Malers Muzaffer Akyol. Sie hat Sozialanthropologie studiert und als Künstlerin geabeitet, bevor sie anfing Musik zu machen.
Meine Eltern haben türkische Folkmusik gehört und Klassik, als Kind habe ich all diese Sachen gemocht. Mit neun oder zehn habe ich durch meinen älteren Bruder Nirvana entdeckt, das hat mich umgehauen. Später kamen dann noch anatolische Rockmusik, Sonic Youth, Nick Cave usw. dazu. In meiner Musik fließen all diese unterschiedlichen Dinge zusammen.
https://www.youtube.com/watch?v=pykJX9SCpAY
Ihr neues Album „Istikrarlı Hayal Hakikattir“ hat Gaye Su Akyol selbst geschrieben, arrangiert, koproduziert und zeichnet auch für das Artwork verantwortlich. Sie kombiniert darauf Raki-getränkte Balladen, futuristischen Surf-Rock und Post-Punk. Psychedelische E-Gitarren und donnernde Percussions treffen auf Oud und Baglama, elektronische Beats und Synthies auf Violine und Trompete.
Wenn ich einen Song aufnehme, weiß ich schon in welche Richtung er gehen wird. Manchmal gibt es Überraschungen, aber meistens habe ich alles schon im Kopf und muss es nur noch umsetzen. Dafür habe ich wieder mit Ali Güçlü Şimşek und Görkem Karabudak zusammengearbeitet. Sie spielen Bass und Gitarre und singen auch. Wir verstehen uns sehr gut und müssen nicht viel reden. Die Musik macht sich quasi von selbst.
„Die Welt gehört uns allen“
Neben ihrem eigenen Material ist auf dem Album auch eine Coverversion des türkischen Psychedelik-Pioniers Barış Manço zu finden.
Barış Manço war ein Mitbegründer der anatolischen Rockmusik und eine ihrer schillerndsten Figuren. Er war im ganzen Land sehr populär und hatte die Fähigkeit, die unterschiedlichsten Leute zusammenzubringen. Ich mag den Song „Hemserim Memleket Nere“ sehr gern, es geht um Liebe, Gleichberechtigung und darum, dass die Welt uns allen gehört, egal woher man kommt.
In ihren poetischen Texten bricht Gaye Su Akyol das Politische auf das Persönliche herunter. Dank englischer Übersetzungen im Booklet von „Istikrarlı Hayal Hakikattir“ kann man in ihre bittersüßen Traumwelten eintauchen, auch wenn man kein Türkisch vesteht. Und das lohnt sich, denn in ihrer Musik erschafft sie ihr ganz eigenes Universum aus nahöstlicher Tradtition und urbanem Underground.