Das Land der Extra-Wurst
Das Brexit-Gespenst geht um. Dabei genießt kein Mitglied der Europäischen Union so viele Privilegien wie Großbritannien. Als der Euro eingeführt wurde, durften die Briten das Pfund behalten. Sie nehmen nicht am Schengen-Raum teil, beim Einreisen gibt es also durchaus noch Passkontrollen. Und die Liste der Ausnahmen geht weiter: bei der EU-Grundrechtecharta, dem Fiskalpakt oder der Innenpolitik der Union.
Diese Sonderstellung der Briten in der EU hat Tradition. Nach mehreren Versuchen trat das Vereinte Königreich erst 1973 bei, fast 20 Jahre nach der Gründung der Gemeinschaft. In den 80er-Jahren verhandelte die konservative Premierministerin Thatcher den sogenannten Briten-Rabatt – danach bekommt das Land einen Großteil seiner Zahlungen in den gemeinsamen Haushalt nachträglich erstattet.
Der Brexit und die Wirtschaft
Schon vor dem möglichen Austritt aus der EU ist das Vereinigte Königreich also eher ein halbes Mitglied. Trotzdem würde ein Brexit das Land empfindlich treffen, vor allem in der Wirtschaft. Mit einem Austritt aus der Union steht auch der Zugang zum Europäischen Binnenmarkt auf dem Spiel. Darunter würde der britische Export leiden.
Ich halte das für unvorstellbar, was passiert, wenn die Briten austreten. Was passiert mit diesem Finanzplatz London? Alles das, was ich so mitbekomme, ist, dass viele Unternehmen aus London dann nach Frankfurt oder Paris gehen werden. – Udo Seiwert-Fauti, Journalist
Fast alle Prognosen sehen deswegen die britische Wirtschaft als Verlierer eines möglichen Brexit. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung nimmt etwa an, dass nach einem Brexit die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs im schlimmsten Fall um drei Prozent schrumpfen würde. Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands und der EU im Durchschnitt soll allerdings nur um rund 0,3 Prozent zurückgehen.
Last exit #Brexit? Special der @tagesschau zum möglichen #EU-Austritt Großbritanniens https://t.co/LKbmaJkG1v (pd) pic.twitter.com/MG5XCbipRd
— Bertelsmann Stiftung (@BertelsmannSt) 19. Februar 2016
Politische Folgen bleiben ungewiss
Die deutsche Wirtschaft und der Binnenmarkt der europäischen Union würden wahrscheinlich nicht allzu sehr unter einem Brexit leiden. Mit einem Austritt würden die Briten sich also höchstens ins eigene Fleisch schneiden.
Doch wenn dem so ist: Wieso gibt es dann von allen europäischen Seiten den Aufruf, morgen für einen Verbleib zu stimmen? Was den europäischen Politikern am meisten Angst macht, ist nicht, dass nach einem Brexit der Handel mit den Briten teurer wird oder dass einer der größten Zahler des EU-Haushalts wegfällt. Die Angst vor einem Brexit ist politischer Natur.
Noch nie ist ein Land aus der Union ausgetreten. Es bleibt unklar, was das für die weitere Integration bedeutet. Denn im aktuellen politischen Klima in Europa ist die Angst vor weiteren Referenden groß. Bis jetzt kann niemand voraussagen, ob europakritische Bewegungen etwa in Frankreich, Polen oder Österreich sich einen Brexit nicht zum Vorbild nehmen würden.
Morgen also entscheiden die Briten in einem Referendum darüber, ob sie die Europäische Union verlassen oder ob sie bleiben. Aber wäre eine EU ohne Großbritannien für Deutschland tatsächlich ein Problem? In unserer Serie Brexit-Countdown hat detektor.fm-Moderator Christian Eichler mit dem Journalisten Udo Seiwert-Fauti über die Folgen eines Brexit für Deutschland und die Europäische Union gesprochen.