Krise – und sonst Schweigen?
Wenn von der Europäischen Wirtschaft die Rede ist, gibt es fast ausschließlich ein Thema: die sog. Krise. Kriselnde Banken, kriselnde Unternehmen, kriselnde Staaten…
Dabei ist Europas Wirtschaft mehr als nur Krise.
Im unserem Themenschwerpunkt haben wis bisher gefragt, wie „Europa“ funktioniert und wie es regiert – im dritten Teil wollen wir wissen, wie Europa verdient.
detektor.fm-Reporter Max Heeke hat dafür den Kleinunternehmer Ludger Krekeler begleitet: Denn der verdient sein Geld in der EU.
Ihre Fragen an Europa? Her damit!
Wir fragen nach Europa – und wir fragen Sie: welche Fragen haben Sie an Europa und die Europa-Politiker?
Lassen Sie es uns wissen:
- per Mail an kontakt@detektor.fm
- als Kommentar unter diesem Artikel
- via Facebook oder Twitter
Wir sammeln alle Fragen – und im letzten Teil der Serie steht uns und Ihnen EU-Kommissar Günther Oettinger Rede und Antwort.
+++
„Wie, Europa?“
Die Serie zur Europa-Wahl.
Im April und Mai auf detektor.fm.
+++
Mit freundlicher Unterstützung
der Europäischen Kommission.
+++
+++ Der Beitrag zum Nachlesen +++
Jetzt auf dem Weg hierher hatte ich Prospekte für sowas ähnliches wie Amazon, letzte Woche, das waren Stahlteile für John Deere, irgendwelche Fette nach Schweden, also was in der Wirtschaft gerade gebraucht wird.” – Ludger Krekeler
Irgendwo in Mitteleuropa, in Deutschland, auf der Strecke zwischen Berlin und Leipzig:
Ludger Krekeler sitzt am Steuer seines Citroen Jumper. Ladevolumen ohne Anhänger: dreieinhalb Tonnen.
Seit 2011 ist der studierte Kulturmanager nun Geschäftsführer und Fahrer des Ein-Mann-Unternehmens Mammut Express.
Von Kleinunternehmen, wie dem von Ludger Krekeler, ist in den Wirtschaftsnachrichten selten die Rede:
Royal Dutch Shell, Allianz Versicherungen, Vodafone, Siemens, Philips, Nestlé, BNP Paribas, Volkswagen – das sind die europäischen Unternehmen, die die Schlagzeilen dominieren.
In der EU gibt es rund 20 Millionen Unternehmen. Nur etwa 40.000 davon sind klassifiziert als große Unternehmen:
Das bedeutet, sie haben mehr als 250 Mitarbeiter. Alle anderen sind Kleinst-, Klein- und Mittelständische Unternehmen.
Und die bestimmen den europäischen Arbeitsmarkt, sagt Reinhard Hönighaus von der Europäischen Kommission.
Die schaffen zwei von drei Arbeitsplätzen in der EU. Die beschäftigen 90 Millionen Menschen. Das ist also wirklich das Rückgrat der europäischen Union. – Reinhard Hönighaus
Mit 18 Millionen machen die Kleinstbetriebe den größten Teil aus: Das sind Firmen, die weniger als 10 Angestellte haben.
Eine davon ist Ludger Krekelers Mammut Express für Kurierfahrten und Eiltransporte.
Krekeler wohnt in Heidelberg und fährt für verschiedene große und kleine Firmen- unter anderem für einen dänischen Betrieb:
Die arbeiten für ein großes Schiffbauunternehmen und wenn irgendwo ein Kreuzfahrtschiff oder sonst n großes Schfif im Hafen liegt und nicht mehr weiterfahren kann weil irgend ein Teil fehlt und dieses Teil zufällig im Raum Mittel/Süddeutschland liegt, dann bekomm ich den Auftrag dahinzufahren. – Reinhard Hönighaus
Ludger Krekeler transportiert Waren und Produkte durch Europa.
Hinter seiner Aussage verbirgt sich das Prinzip des Europäischen Binnenmarktes.
EU-Parlamentarier Daniel Caspary nennt eine der vier Säulen des Binnenmarktes:
Die Grundidee des europäischen Binnenmarktes, den es jetzt seit 20 Jahren gibt, ist dass vereinfacht gesagt, ein Produkt, dass in Deutschland verkauft werden darf, darf in ganz Europa verkauft werden, und auf der anderen Seite, ein Produkt das in Frankreich, Spanien oder Bulgarien verkauft werden darf, darf eben auch in ganz Europa verkauft werden. – Daniel Caspary
Daneben sind Personenverkehrs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit die Grundsäulen des europäischen Binnenmarktes.
Ludger Krekeler kann also seine Dienstleistungen mit seinem Unternehmen europaweit anbieten, Waren europaweit transportieren und als Person frei in der EU verkehren.
Ende der 80er, Anfang der 90er, bevor Binnenmarkt und Grenzöffnungen beschlossen waren, sahen Reise und Transport ncoh umständlicher aus, erklärt Krekeler:
Früher gab es so Aufträge von Köln nach Bordeaux, und da haben wir jeweils eine halbe Stunde eingeplant an jeder Grenze, zunächst an der belgischen und dann an der belgisch/französischen Grenze. Und zwei, drei Mal ist es mir passiert, recht nervige Kontrollen, wo sich der Zoll dafür interessierte, was in den Kisten drin ist. Dann packt man halt alles aus, und allein diese möglichkeit das man da aufgehalten wird oder auch ein bisschen der Gefühl der Überwachung, das fällt weg, du kannst mit deiner Ware fahren und bist dafür verantwortlich, dass alles in Ordnung ist, dass die Frachtpapiere stimmen. – Ludger Krekeler
Damals war Krekeler als Fahrer im Einsatz, um sich sein Studium zu finanzieren.
Mitte der 90er Jahre wechselte er dann zum Sozial- und Kulturmanagement.
Im Dreiländer Eck Deutschland, Tschechien und Österreich arbeitete er als Kulturreferent in einem Euregio-Projekt: In der Euregio versammeln sich Grenzregionen Europas, um Wirtschaft und Kultur länderübergreifend zu gestalten.
Ludger Krekeler förderte Kulturangebote und Kultureinrichtungen, um die Gegend im Bayrischen Wald attraktiver für Bewohner und Unternehmer zu machen.
Die Förderung für seine Stelle endete und er transportierte wieder Waren.
Damals musste man noch für jedes Land, durch das du gefahren bist, eigene Währung mit haben. Das führte dazu, dass ich dann so mehrere Dosen, so alte Penaten-Dosen voll mit den unterschiedlichsten Währungen dabei hatte, und seit der Einführungen des Euros 2001, das war dann wirklich spürbar Europa. – Ludger Krekeler
Sechs Billionen Euro, das ist die Wertschöpfung aller Unternehmen – ein gutes Jahrzehnt nach Einführung des Euros.
Die Wertschöpfung bezeichnet die Einnahmen von wirtschaftlichen Aktivitäten abzüglich Produktionskosten und Steuern.
Für mehr als die Hälfte der europäischen Wertschöpfung waren Klein- und Mittelständische Unternehmen verantwortlich.
Daniel Caspary vom EU-Parlament ist von der wirtschaftlichen Stärke der EU überzeugt:
Die Europäische Union heute stellt 25 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Das heißt, wir sind eine große Nummer im weltweiten Handel. Und wenn wir wirtschaftliche Mittel zum Beispiel gezielt einrichten um auch politischen Druck auszuüben, glaub ich schon, dass wir Wirkung entfalten können. – Daniel Caspary
Fünfundzwanzig Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung, sechs Billionen Euro Wertschöpfung 2012.
Auch Ludger Krekeler mit seinem Kleinstunternehmen ist ein Teil dieser Zahl.
Die Größenordnungen, in denen sich sein Geschäft bewegt, sind aber überschaubar:
Also ich nehme für mein Auto pro Kilometer 40 Cent. Meistens wird das dann nach Entfernungskilometern abgerechnet, da sind das dann de facto 38 Cent. In der vorigen Woche bin ich nach Schweden gefahren, da hatte ich einen Schnitt von 45. Wenn ich zum Beispiel diese 38 Cent-Tour habe und dann Mehrkosten, die nicht eingerechnet waren – heißt: wir haben nicht über Tunnelgebühr geredet oder ich habe vergessen, die Autobahngebühr in Polen mit einzurechnen – solche Kleinigkeiten, dann hab ich mir selber einen Nettolohn von 4 Euro auszahlen können. Und bei der Schweden-Tour, wenn ich das ganz offen sagen kann, waren es dann 12 Euro. – Ludger Krekeler
Die Kleintransporte sind ein guter Indikator für die generelle Wirtschaftslage.
2008, als die Finanz- und Wirtschaftskrise in der EU begann, sank die Nachfrage nach Transporten, weil die Wirtschaft sparen musste.
In der Krise erkannten die EU und ihre Mitgliedsstaaten die Bedeutung der kleinen Unternehmen.
Sie bemühten sich das Umfeld für Kleinunternehmer zu verbessern- so Reinhard Hönighaus von der Europäischen Kommission:
Die Finanzkrise war ein Weckruf in vielen Ecken Europas, dass die Gesellschaft, die Verwaltung mehr tun können, um eine positive Haltung zum Unternehmensgeist in den Verwaltungen und der Politik zu verankern; zu erleichtern, dass man schneller Unternehmen gründen kann, dass man nicht so lang auf Genehmigungen warten muss. Und die EU kann Mittelständlern auch dabei helfen, Finanzierung zu erhalten. Das war in der Finanzkrise ein großes Problem vor allem in Südeuropa, da sie mit in den Strudel gerissen wurden, weil Banken nicht mehr in der Lage waren, Kredite zu vergeben. Da gab es große europäische Bürgschaftsprogramme über die europäische Investitionsbank. – Reinhard Hönighaus
Für Ludger Krekeler wurde es deshalb erst 2011 in Deutschland interessant, wieder ins Geschäft einzusteigen.
So gründete er sein Unternehmen, nahm einen Kredit auf und besorgte sich einen neuen Transporter mit Anhänger und eine europäische Transportgenehmigung.
Ein von der Kommission in Auftrag gegebener Bericht sieht für 2014 “Erholung am Horizont”.
Demnach deuten verschiedene Indikatoren an, dass sich die Lage in allen Mitgliedsstaaten, in unterschiedlichster Geschwindigkeit und Intensität verbessern soll.
Ludger Krekeler hingegen weiß noch nicht, wann sein nächster Auftrag kommt und wohin er ihn fahren wird:
Nein, für heute hab ich nichts mehr gehört. Ich hab mich heute Morgen bei dreien meiner Kunden gemeldet und hab gesagt, ich bin jetzt frei, wenn ihr was habt, könnt ihr euch gerne an mich wenden. Und wie die nächste Woche und die nächsten Wochen aussehen, kann ich heut noch nicht sagen. – Ludger Krekeler