Wer in einer Demokratie leben will, der muss wählen gehen. So lautet der allgemeine Tenor kurz vor den Wahlen. Bei den gestrigen Landtagswahlen schien nun diese Devise bei den potentiellen Wählern angekommen zu sein. Sogar in Sachsen-Anhalt, dem Bundesland mit der bisher niedrigsten Wahlbeteiligung, waren die Bürger mit einer zehnprozentigen Steigerung plötzlich aktiver denn je. Doch trotz demokratischer Abstimmung wurde nicht zwangsläufig für die Demokratie abgestimmt.
Eine höhere Wahlbeteiligung bedeutet immer erstmal, dass die Politik für die BürgerInnen attraktiver geworden ist. Allerdings haben wir jetzt eine Situation extremer Polarisierung. – Bernhard Weßels, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
Wahlbeteiligung: Die ewige Leier
Langsam, aber kontinuierlich sinkt die Wahlbeteiligung schon seit den achtziger Jahren in Deutschland. Besonders Europawahlen sind von diesem Trend betroffen, aber auch allgemein stellt das Desinteresse an Wahlen für die Parteienlandschaft ein schier unlösbares Problem dar.
Eine Demokratie hat dann ein Problem, wenn die Demokraten fehlen. #Wahlbeteiligung
— Andrea Maurer (@an_maurer) 7. März 2016
Schließlich haben bislang vor allem populistische und nicht etablierte Parteien von der niedrigen Wahlbeteiligung profitiert. Ähnlich lässt sich auch das Erstarken von AfD und NPD bei den hessischen Kommunalwahlen erklären. Doch die Zeiten, in denen die niedrige Beteiligungsquote durch allgemeine Zufriedenheit und unkonventionellere Partizipationsmethoden erklärt werden konnten, scheinen vorbei. Denn in einem Land, welches sich immer mehr spaltet, erhalten auch die sonst so scheinbar uninteressanten Landtagswahlen einen symbolischen Status.
Hochrechnung kommt vor dem Fall
Die etablierten Parteien haben sich von der erhöhten Wahlbeteiligung wahrscheinlich eine stärkere Absage gegen den Rechtspopulismus erhofft. Doch nachdem die AfD in allen drei Landtagen deutlich zweistellig abgeschnitten hat, haben besonders die Nichtwähler zum ersten Mal ein klares Statement abgegeben. Doch ob mit der Stimmvergabe nur ein Protestverhalten demonstriert werden sollte, bleibt fraglich.
Inwieweit das einfach nur Protestwähler sind oder da grundlegende Präferenzen rechts von dem, was unser Parteiensystem bisher angeboten hat, zum Ausdruck kommen, ist für mich noch eine offene Frage. – Bernhard Weßels, WZB
Gewählt ist gewählt. Wie viele Stimmberechtigte sich bei den Landtagswahlen wirklich „verwählt“ haben, bleibt abzuwarten. Schließlich ist das Grundsatzprogramm der erst jungen AfD noch gar nicht beschlossen. Inwiefern die starke Wahlbeteiligung auf unser derzeitiges Verständnis für Demokratie anzuwenden ist, hat detektor.fm-Moderatorin Karoline Dröhne von dem Politikwissenschaftler Bernhard Weßels erfahren. Er arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Redaktion: Johanna Siegemund