Aktualisierung am 21.07.16: Inzwischen wurde in der Türkei sogar der Ausnahmezustand ausgerufen. Dadurch kann Erdoğan weitgehend per Dekret regieren, außerdem können Grundrechte eingeschränkt oder ausgesetzt werden.
Nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch in der Türkei bleibt vieles weiter unklar. Wer dafür verantwortlich ist, zum Beispiel. Die Gerüchte reichen von „Erdoğan hat das selbst inszeniert“ über das „Militär hat von den geplanten Verhaftungen gehört und schnell geputscht“ bis hin zu „Fethullah Gülen hat das aus der USA organisiert„. Die Beweislage für jede der Theorien sind bisher sehr dünn.
Der türkische Präsident Erdoğan nutzt den Putsch unterdessen, um seine Macht weiter zu vergrößern. Er will die „Säuberung aller staatlichen Institutionen“ von Gülen-Anhängern, die mit weiteren Putschversuchen seine Demokratie angreifen könnten. Wie diese Demokratie aussieht, zeichnet sich immer deutlicher ab. Fast 30.000 Beamte hat Erdoğan mittlerweile entlassen. Er hat den Rücktritt sämtlicher Universitätsrektoren gefordert und 24 Radio- und Fernsehsendern die Sendelizenz entzogen.
Verunsicherung in der Türkei
Unterdessen versuchen viele Türken wieder zur Normalität zurückzukehren. Aber in den Mittagspausen und beim Einkaufen gibt es nur noch ein Thema: Was soll dieser Putsch? Wie geht es jetzt weiter?
Erdoğans Massenentlassungen hinterlassen große Lücken, etwa in der Polizei. Kann diese überhaupt noch die innere Sicherheit gewährleisten? Und spätestens wenn die Sommerferien vorüber sind, wird sich das Fehlen der 15.000 suspendierten Beamten im Bildungsbereich bemerkbar machen.
Außerdem ist unklar, in welche Richtung Erdoğan mit seiner Regierung steuert. Es scheint noch alles möglich zu sein. Bisher wurden Menschen verhaftet, die verdächtigt werden, den Putsch oder Erdoğans Erzfeind Gülen zu unterstützen. Manche Türken glauben aber, dass die Verhaftungen ausgeweitet werden, und fürchten um ihre ohnehin schon eingeschränkte Meinungsfreiheit.
Stimmung auf der Straße
Schon in der Nacht des Putschversuches hat Erdoğan seine Anhänger aufgefordert, „für die Demokratie“ auf die Straße zu gehen. Seine Anhänger zeigen noch immer lautstark ihre Unterstützung. Zum Beispiel auf dem Taksim-Platz, auf dem schon 2013 die regierungskritische Gezi-Bewegung demonstriert hat. So sind die Meinungen über Putsch und Erdoğan in der Bevölkerung gespalten. Auf eines scheinen sie sich aber alle einigen zu können: Eine Putschregierung will eigentlich niemand.
Diskussionen beim Metzger und die Rückkehr zur Normalität: detektor.fm-Moderatorin Sara Steinert hat mit der Journalistin und Filmemacherin Kristina Karasu in Istanbul gesprochen.
Redaktion: Amy Wittenberg