Ist trauern krankhaft? Eigentlich nicht. Jeder Mensch muss früher oder später den Verlust eines geliebten Menschen verkraften. Tod und Trauer gehören nun einmal zum Leben. In den meisten Gesellschaften gibt es auch kulturelle Codes und Rituale, die den Trauerprozess begleiten und leiten.
Allerdings gehen Psychologen inzwischen davon aus, dass es eine krankhafte Form des Trauerns gibt. Während es zum Beispiel normal ist, zu Beginn der Trauer in Apathie zu verfallen, oder ein Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Daseins zu empfinden, kann der krankhaft Trauernde diesen Zustand nicht mehr überwinden. Der eigentliche Trauerprozess ist in der Entwicklung unterbrochen, zu dem auch das aktive entwickeln einer neuen Lebensperspektive ohne den Verlorenen gehört.
Bei dieser sogenannten komplizierten Trauer gelingt es den Betroffenen beispielsweise nicht mehr, Orte aufzusuchen, die mit dem Toten in Verbindung stehen. Das Leben wird als stark eingeschränkt und sinnentleert empfunden.
Pathologische Trauer – ein eigenständiges Krankheitsbild?
Psychologen gehen davon aus, dass die Sympotmatik der komplizierten Trauer zwar der Depression, der Angststörungen und der posttraumatischen Belastungsstörung ähnelt, von jenen aber in wesentlichen Punkten verschieden ist.
So empfindet der pathologisch Trauernde etwa tiefes Unglück, während der Depressive eher an einer Gefühllosigkeit leidet, sich weder freuen noch trauern kann. Die Intrusionen des Trauernden – unbeeinflussbar auftauchende Erinnerungen an den Verstorbenen – unterscheiden sich von denen eines Traumatisierten, weil es eben oft auch sehr schöne, angenehme Erinnerungen sind.
Komplizierte Trauer – in den USA bereits als Krankheit anerkannt
Deshalb haben Wissenschaftler – vor allem in den USA – einen Kriterienkatalog für die Diagnose einer pathologischen oder komplizierten Trauer erarbeitet. In das DSM-5, die fünfte Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der amerikanischen psychatrischen Gesellschaft, ist die komplizierte Trauer bereits aufgenommen.
2015 erscheint die ICD-11, die neue Revision des Diagnoseklassifikationssystems der Weltgesundheitsorganisation. Experten gehen davon aus, dass sie sich in diesem Punkt an der DSM-5 orientieren wird – und damit die pathologische Trauer als Diagnose und Krankheitsbild anerkennt. Die Anerkennung durch die WHO ist in der Regel ein wichtiger Schritt, damit Krankenkassen auch für Therapiekosten übernehmen.
In Leipzig will man der komplizierten Trauer mit einer Internettherapie begegnen
Die Psychologin Annette Kersting, Professorin am Universitätsklinikum Leipzig, hat bereits Therapieprojekte mit Trauernden durchgeführt. Ihre jüngste Studie wertet die Ergebnisse einer in Leipzig konzipierten internetbasierten Therapie aus. Internettherapien sind nach wie vor umstritten. Selbst manche Befürworter solcher Therapien raten dazu, diese Form der Behandlung nur begleitend zu persönlichen Gesprächstherapien anzubieten.
Die Leipziger Therapie orientierte sich an einem niederländischen Vorbild zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen. Patienten erhielten Schreibaufgaben, bei deren Ausführung sie sich mit ihren Erlebnissen, Gefühlen und ihrem Umgang mit der Trauer auseinandersetzen mussten. Die Ausführungen der Patienten wurden in kurzer Zeit von Psychotherapeuten gelesen und kommentiert.
Für Annette Kersting steht dies in Arbeitsaufwand und die Betreuungsintensität einer herkömmlichen Therapie nicht nach. Da sie aber unabhängig von Ort und Zeit ist, komme sie den Bedürfnissen und der Lebenswelt der Patienten entgegen. Die Ergebnisse sprechen erst einmal für die Internettherapie. Befragungen der Patienten vor und nach der Therapie zeigen einen signifikanten Rückgang der Symptome. Auch längere Zeit nach der Behandlung blieben die Patienten stabil.
Über Erkenntnisse aus den Studien und die neuen Methoden und Hoffnungen, die in internetbasierte Therapien gesetzt werden, hat sich Mike Sattler informiert.