Bevor es heute losgeht, habe ich noch gleich mal eine Podcast-Empfehlung für euch. Gemeinsam mit Spektrum der Wissenschaft haben wir von detektor.fm nämlich neben unserem Spektrum-Podcast jetzt noch einen neuen Podcast gestartet. Die großen Fragen der Wissenschaft heißt der, und der Name ist Programm. Die Hosts sind Katharina Menne, die kennt ihr auch als Gast hier bei mir im Podcast, ja vielleicht. Und dazu kommt noch Carsten Könnecker von Spektrum. Die beiden stellen sich die großen Fragen der Wissenschaft eben, also zum Beispiel: Was ist Zeit? Woher kommt das Leben? Oder auch sehr spannend, gleich in der ersten Folge: Was lauert eigentlich in der Tiefsee? Und das ist tatsächlich eine sehr, sehr große Frage der Wissenschaft, denn wir wissen mehr über die Rückseite des Mondes als über den Grund der Ozeane. In jeder Folge sprechen Katharina und Carsten ausführlich dann mit namhaften Forscherinnen und Forschern und sie fragen, was sie über die Welt, die Naturgesetze und das Leben eben wissen, aber auch, wie sie arbeiten und was sie antreibt, was ja auch immer ganz spannend ist. Also, absolute Hörempfehlung! Den Link zum Podcast „Die großen Fragen der Wissenschaft“ findet ihr auch in den Shownotes bei uns, und mehr Infos gibt es dann auch auf spektrum.de und detektor.fm. So, und jetzt zu uns. Heute unser Thema: Wir alle neigen manchmal dazu, uns und unsere Fähigkeiten auch selbst massiv zu überschätzen. Das ist wissenschaftlich erwiesen, und trotzdem wird in der Fachwelt bis heute leidenschaftlich darüber gestritten. Bei uns geht es heute um den berühmten Dunning-Kruger-Effekt. Mein Name ist Max Zimmer, und ihr hört den Spektrum-Podcast. Schön, dass ihr dabei seid. Spektrum der Wissenschaft, der Podcast von detektor.fm. Ein klassisches Beispiel ist das Autofahren. Da denken die meisten Menschen, dass sie das besser können als der Durchschnitt. Und auch so beim Allgemeinwissen ist es so, und auf vielen, vielen anderen Gebieten eben noch, dass man sich so ein bisschen, ja, für so ein bisschen schlauer hält als Otto Normalverbraucher. Ein bisschen schlauer werde ich schon sein, denken die meisten. Und ihr müsst euch nicht ertappt fühlen, mir geht es da nämlich genauso. Das Ding ist nur, das ist vermutlich gar nicht so. Jedenfalls sind wir nicht so schlau, wie wir alle meinen. Und noch besser: Je weniger die Leute drauf haben, desto mehr neigen sie noch zur Selbstüberschätzung. Das sagt jedenfalls der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt. Der gehört zu den bekanntesten Phänomenen der Psychologie und wurde in den 1990er Jahren erstmals beschrieben von den Psychologen David Dunning und Justin Kruger. Und seitdem ist dieser Effekt ziemlich bekannt geworden, weil es ja auch so schön einfach ist: Tolle Aussage! Ausgerechnet die Dümmsten halten sich für besonders schlau. Kein Wunder, also, das Internet, habt ihr vielleicht schon mal gesehen, ist voll mit Memes und Kommentaren dazu. Ja, da wird dann immer auf den Dunning-Kruger-Effekt Bezug genommen, wenn jemand gerade angeblich was besonders Blödes gepostet oder gesagt oder gemacht hat. Aber die Frage ist, ja, warum glauben eigentlich so viele Menschen, dass sie mehr wüssten als sie es tatsächlich tun? Also, warum überschätzen wir uns selbst? Und nochmal eine andere Frage: Stimmt das alles überhaupt? Darüber wollen wir heute sprechen und zwar mit Diplom-Psychologin Christiane Gehlitz von Spektrum der Wissenschaft. Hallo, Christiane. Hallo, Max. Ja, Christiane, ich glaube, ich muss mich erstmal kurz mit dir abstimmen, so zum Beginn. Geht es dir auch so, dass man sich, wenn man so über den Dunning-Kruger-Effekt dann liest, so ging es mir in der Vorbereitung, dass man sich erstmal ein bisschen ertappt fühlt? Ja, ehrlich gesagt habe ich erst gedacht: Nee, also, mir passiert das natürlich nicht. Aber wenn man sich dann in die Forschung einliest, dann wird schnell klar, dass jeder solche blinden Flecken hat. Also Bereiche, wo man eigentlich keine Ahnung hat und sich gerade deshalb überschätzt. Und als ich angefangen habe, darüber nachzudenken, da ist mir schon so einiges eingefallen. Zum Beispiel Hundeerziehung. Also ich bilde mir echt ein, zu wissen, was man alles falsch machen kann und wie es besser geht. Und zwar nur, weil ich schätzungsweise 20 Staffeln Hundeprofi gesehen habe, was vermutlich auch ein bisschen verrückt ist, weil ich noch nie einen Hund hatte, allergiebedingt. Darüber hatten wir uns sogar auch schon mal unterhalten, glaube ich. Aber hunderte von Stunden Theorie sind noch lange keine Praxis. Und ich habe nie erlebt, wie schwierig das sein kann, einen Hund zu erziehen. Und deshalb gehöre ich, auch wenn ich es nicht wirklich wahrhaben will, wahrscheinlich genau zu den Leuten, die sich da deutlich überschätzen. Ich habe auch so ein paar Bereiche identifiziert, so Musikwissen zum Beispiel. Da denkt man ja immer, dass man relativ viel Musik hören würde und so. Und manchmal, wenn man dann merkt, man vergleicht sich mit anderen Leuten und guckt, was die alles wissen und drauf haben oder so. Keine Ahnung, historisches Allgemeinwissen, solche Sachen. Da komme ich auf jeden Fall öfter auch an meine Grenzen, wenn man sich dann doch mal mit anderen abgleicht. Okay, Christian, jetzt haben wir gehört, was das Phänomen ist. Ich habe so grob ein bisschen flapsig umrissen. Aber was genau besagt denn jetzt dieser Dunning-Kruger-Effekt? Also, er besagt, wer auf einem Gebiet keine Ahnung hat, überschätzt sich darin eher und ist sich auch nicht bewusst, weil dann auch genau das Wissen fehlt, das es bräuchte, um die Inkompetenz zu erkennen. So hat es Dunning selbst definiert. Er ist heute Psychologie-Professor an der University of Michigan. Und die erste große Studie, die kommt eben von ihm und seinem Doktoranden Justin Kruger. Nach den beiden ist der Effekt ja benannt. Allerdings ist er gar nicht von ihm selbst. Das hat Dunning jedenfalls so in einem Podcast erzählt. Ein Podcast ist von Adam Grant, das ist auch ein bekannter Psycho-Prof in den USA. Und da erzählt Dunning, dass er J.G.P.T. gefragt hat, wer den Dunning-Kruger-Effekt denn so genannt hätte. Und J.G.P.T. sagte Dunning und Kruger. Und er hat dann zu J.G.P.T. gesagt: Nee, das stimmt aber nicht. Wenn die beiden überhaupt einen Begriff dafür hatten, dann die doppelte Last der Inkompetenz. Davon haben sie damals gesprochen. Aber immerhin, die Korrektur scheint irgendwie gewirkt zu haben. Jedenfalls weiß J. G.P.T. inzwischen, dass sich Dunning und Kruger da nicht selbst verewigt haben. Ich habe das nämlich vor ein paar Tagen nochmal ausprobiert. Nur leider wusste J.G.P.T. immer noch nicht, wo genau der Begriff Dunning-Kruger-Effekt denn tatsächlich das erste Mal aufgetaucht ist. Also offenbar ist das selbst für J.G.P.T. schwer rauszukriegen. Ja, vielleicht ist J.G.P.T. auch einfach ein Opfer selber des Dunning-Kruger-Effekts und weiß nicht, kann ich gut einschätzen, wie viel es dann doch noch nicht weiß, obwohl es anscheinend ja alles weiß. Das wäre interessant. Ja, wie wurde der denn jetzt entdeckt? Also, wie sahen diese ersten Experimente aus? Wie hat man das rausgekriegt? Ich habe ja gesagt, es war so in den 90ern. Ja, also erstmals haben sie das Phänomen 1999 beschrieben. Da war Dunning noch Professor an der Cornell University und Kruger, wie gesagt, sein Doktorand. Und sie haben ihre Versuchspersonen Tests absolvieren lassen, zum Beispiel für logisches Denken. Und danach sollten die Leute dann einschätzen, wie gut sie im Vergleich zu anderen waren und zwar auf einer Rangskala von 0 bis 100. Also wer sich da eine 50 gibt, der würde damit sagen: Ich bin genau Durchschnitt. Also die Hälfte ist besser und die Hälfte ist schlechter als ich. Und wenn ich zum Beispiel meinen würde, ich bin besser als drei Viertel der anderen Leute, dann würde ich mich auf 75 einstufen. Dunning und Kruger haben dann diese Werte mit den wahren Testwerten verglichen, um zu gucken, wie gut sich die Leute einschätzen. Und dazu haben sie vier Gruppen gebildet: Die schlechtesten 25 Prozent, die besten 25 Prozent und zwei mittlere Gruppen. Also eine eher überdurchschnittliche und eine eher unterdurchschnittliche. Und das Ergebnis war, dass sich die schlechteste Gruppe im Mittel am stärksten überschätzt hat. Und sie glaubten, dass sie mehr als 60 Prozent der anderen überflügeln würden, obwohl sie ja alle definitiv maximal bei 25 Prozent lagen. Also schon ganz ordentlich. Und die beste Gruppe dagegen, die hat sich unterschätzt, verglichen auch mit der Zweitbesten. Aber sie haben sich nicht darin unterschätzt, wie gut sie an sich sind, sondern eben nur im Vergleich zu anderen. Also sie wissen eigentlich, dass sie gut sind, aber ihnen ist nicht klar, dass andere dasselbe Wissen nicht haben. Das können sie sich offenbar nicht mehr so richtig vorstellen. Diese Vergleiche haben Dunning und Kruger auch noch mit anderen Fähigkeiten angestellt. Wer das nachlesen will, das Paper steht auch frei im Netz. Das heißt „Unskilled and Unaware of It“ und ist für eine Psychostudie auch ziemlich gut lesbar. Das kann man empfehlen. Aber wem das zu mühsam ist, unser Autor Sebastian Brocks hat den Dunning-Kruger-Effekt kritisch beleuchtet und dabei auch die Originalstudie kurz und knapp beschrieben. Und der Artikel ist jetzt Titelthema in der Ausgabe von „Gehirn und Geist“. Ich finde diese Versuche total interessant. Aber jetzt ist natürlich Labor das eine. Inwiefern kann man denn sagen, dieser Effekt wurde auch mal außerhalb von Labortests beobachtet oder gilt er als bestätigt? Ja, das kann man so sagen. Wie so oft in der psychologischen Forschung hat man dafür Studierende angeworben und zum Beispiel gefragt, was sie glauben, wie gut sie bei einer Prüfung abschneiden werden. Und dann hat man das verglichen mit den tatsächlichen Prüfungsergebnissen. Und da war es auch so, wer schlechter abschnitt, hatte sich eher überschätzt. Und bei Schülern hat man das auch nachgewiesen in verschiedenen Fächern und bei Fahrschülern, bei Schachspielern und auch im Berufsleben, also zum Beispiel bei Labortechnikern. Also, den gibt’s alles klar. Jetzt kommen wir mal zu den Erklärungsansätzen. Also, wie kommt es denn zu dieser Selbstüberschätzung? Herr Dunning und Kruger erklären das, wie schon erwähnt, mit mangelndem Wissen und zwar speziell auch mangelndem Metawissen oder mangelnden metakognitiven Fähigkeiten. Also, wer auf einem Gebiet keine Ahnung hat, dem fehlt auch das Wissen, um zu erkennen, wie wenig er weiß und wie viel es eigentlich zu wissen gibt und wie viel mehr andere wissen könnten. Nur der Dunning-Kruger-Effekt kommt eben auch in Bereichen vor, wo es nicht um Wissen geht, sondern um motorische Fähigkeiten, wie die Greifkraft der Hand. Und Wissen, wie man greift, hilft dann naturgemäß wenig. Also, man wird dadurch nicht stärker zugreifen, dass man irgendetwas über Greifkraft weiß. Und es könnte sich deswegen auch bei dem Effekt um motiviertes Denken handeln, also so eine Art Wunschdenken. Das hat sogar Einfluss darauf, wie wir zweideutige Reize interpretieren, nämlich eher so, wie wir es gerne hätten. Und zu so einem Wunschdenken kommt es wohl vor allem dann, wenn es um etwas geht, das uns wichtig ist und wo wir gut sein wollen. Also Schachspielern ist es naturgemäß wichtig, dass sie gut Schach spielen können und Musikern, dass sie musikalisch sind. Ich weiß allerdings nicht, ob das schon mal systematisch untersucht wurde. Also sozusagen mit Selbstwertrelevanz einer Fähigkeit als Moderatorvariable. Ich habe da eine Studie gefunden an österreichischen Schulen, und die hat zumindest schon gezeigt, dass berufliche Interessen eine Rolle spielen. Also die Kinder, die überschätzen sich eher in den Bereichen, für die sie sich auch interessieren. Und das ist ja emotional nachvollziehbar. Dunning und Kruger schreiben selbst am Ende ihrer Originalstudie, dass es keineswegs immer so ist, dass wir unsere Kompetenzgrenzen nicht erkennen. Ich kann theoretisch genau wissen, wie man Gewichte stemmt oder eben, wie man zugreift und kann das trotzdem kein Stück besser. Und sie sagen auch, selbst dass fehlendes Metawissen nicht der einzige Grund dafür ist, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Wie praktisch immer in der Psychologie wirken da wahrscheinlich mehrere Dinge zusammen, also seitens der Situation, seitens der Person. Zum Beispiel, dass narzisstische Persönlichkeiten dem Dunning-Kruger-Effekt eher erliegen. Außerdem gibt es auch Voraussetzungen. Also bei einer unmöglichen Aufgabe überschätzt man sich nicht. Ich weiß zum Beispiel, dass ich kein Arabisch lesen kann. Und schon bei sehr schweren Aufgaben greift der Effekt weniger. Also die Selbstüberschätzung bei Laien nimmt dann ab und bei Experten nimmt sie zu. Der Dunning Kruger-Effekt kehrt sich dann sozusagen um. Ja, sehr interessant. Also das mit dem Arabisch ist ein gutes Beispiel. Man kommt nicht an den Punkt, dass man jetzt sagt: Ich kann was, was ich eigentlich überhaupt nicht kann. Sondern es ist eher bei so Sachen, die man so … Ich habe, als du mit motorischen Fähigkeiten gesagt hast, ist mir noch ein Beispiel eingefallen, wo ich es wirklich hundertfach gesehen habe in meinem Leben. Nämlich Amateur-Kicker, die ihre fußballerischen Fähigkeiten komplett überschätzen. Alle Profi geworden wären, wenn sie sich nicht irgendwann das Knie verdreht hätten. Das ist mir auf jeden Fall noch eingefallen. Und ja, also generell ist es ja so, hast du gesagt, dass sich gerade die, die am wenigsten kompetent sind, eigentlich am stärksten überschätzen. Das ist ja das sehr interessante an diesem Effekt. Was glaubt man denn, woran das liegt? Also Dunning sagt, es gäbe bei Anfängern so eine Art kritische Phase, die sogenannte Beginners Bubble. Zum Beispiel, ausgerechnet muss man leider sagen, bei Chirurgen und Piloten. Also anfangs hätten die schon erstmal sehr viel Respekt vor ihrer Arbeit und dann machen sie ihre ersten Erfahrungen. Und derzeit passen ja auch andere noch mit auf. Alles wird überwacht und so kommt es auch kaum zu Fehlern. Und in dieser Anfangsphase steigt deshalb das Selbstbewusstsein schneller, als es sollte. Also man formuliert es gerne so, dass die wahre Lernkurve der eingebildeten Lernkurve am Anfang ziemlich hinterherhinkt. Und das heißt, die Leute überschätzen sich dann in der Zeit. Die werden übermütig und machen Fehler. Und Dunning hat das natürlich auch im Labor untersucht. Zum Beispiel sollten seine Versuchspersonen lernen, fiktive Krankheiten zu diagnostizieren. Und ganz am Anfang waren sie sehr unsicher. Aber dann haben sie schnell erste Theorien entwickelt. Nur eben dummerweise fehlerhafte Theorien. Und erst mit der Zeit wurden sie dann langsam tatsächlich besser. Und genauso war es auch bei Fahranfängern, die ihre ersten Erfahrungen im Simulator gemacht haben. Und auch bei Feldstudien zum Thema Finanzen. Also junge Erwachsene überschätzen ihr Wissen da anfangs stark. Aber dann mit den Jahren zieht dann das Wissen langsam der Selbstüberschätzung nach. Also es nähert sich praktisch an. Und ihr habt ja bei Spektrum jetzt auch mit David Dunning, dem Namensstifter sozusagen selbst gesprochen. Oder einem der beiden Namensstifter. Und man hat es ja, glaube ich, selten als Forscher, dass etwas, das man entdeckt, so berühmt wird oder so viel zitiert wird. Das gelingt ja den wenigsten. Was sagt er denn eigentlich dazu, was so aus seiner Forschung geworden ist? Ja, also zunächst muss ich kurz sagen, das Interview haben wir nicht selbst geführt, sondern das war ein Journalist vom englischsprachigen Open Mind Magazine. Wir haben den Text nur übersetzt. Und Dunning sagt dort, dass er sich zwar schon freut, dass seine Forschung so bekannt geworden ist, aber er hätte schon gerne, dass der Effekt nicht verwendet würde, um über andere zu urteilen. Also nach dem Motto: Die Person da, die ist so doof, dass sie nicht mal merkt, wie doof sie ist. Aber ja, wie du schon gesagt hast, so wird der Dunning-Kruger-Effekt ja allgemein verstanden. Das ist eben die Variante, die im Internet verbreitet ist. Und die Idee hinter der Forschung, sagt Dunning, die wäre aber eben eigentlich gewesen, dass Leute das zum Anlass nehmen, um darüber nachzudenken, wo sie sich womöglich in sich selbst täuschen. Du hast ja gesagt, er ist immer noch auch Prof. Was macht er denn heute so? Und welche Erkenntnisse hat er vielleicht seit damals auch dazu gewonnen? Der macht echt immer noch super viel und experimentiert ganz viel herum und macht auch spannende Experimente, finde ich. Also, als ich mich da reingelesen habe, bin ich da so schnell nicht mehr rausgekommen aus dem Tunnel. Der versucht, den Effekt weiter zu differenzieren. Also zum Beispiel schaut er, um welche Art von Selbstüberschätzung geht es da gerade. Und ja, wie wirkt sich das dann tatsächlich darauf aus? Man kann sich zum Beispiel, wie wir es ja eben schon hatten, im Verhältnis zu anderen Leuten überschätzen. Das würde man auf Englisch „Overplacement“ nennen. Oder man kann die eigenen Fähigkeiten an sich überschätzen. Das wäre dann „Overestimation“. Und dann gibt es auch noch eine Variante, die hat er in einer Studie untersucht, wo es um GPS geht, also das Navigationssystem GPS. Vielleicht hast du ja im Zusammenhang mit GPS auch schon mal vom Geonova-Effekt gehört. Geonova? Ja, nee, habe ich noch nicht gehört. Ja, das ist sehr gut. Den gibt es nämlich auch gar nicht. Hättest du jetzt gesagt, ja, das kommt mir bekannt vor, dann wäre das ein Fall von „Overclaiming“ gewesen. Zu Deutsch wäre das so ungefähr „Überbehaupten“. Das ist auch eine Form von „Overconfidence“. Grob kann man vielleicht auch von Wissensillusion sprechen. Man meint, etwas zu wissen, was man gar nicht wissen kann. Und Dunning hat gezeigt, dass diese Wissensillusion häufiger auftritt, wenn man Versuchspersonen, die zunächst gar keine Ahnung von GPS haben, wenn man denen vorher eine Einführung in das Thema gibt. Weil dann meinen die nämlich, mit erfundenen Begriffen vertraut zu sein, wie eben dann vielleicht auch mit dem besagten Geonova-Effekt. Das heißt, durch die ersten Infos, die man bekommt, nimmt die Fähigkeit ab, die eigenen Grenzen auf diesem Gebiet zu erkennen, obwohl man ja eigentlich von der Sache dann mehr weiß als vorher. Ja, wow! Auch wenn ich jetzt gerade deine konkrete Falle jetzt nicht getappt bin, fühle ich mich doch wieder ertappt, weil man natürlich manchmal bei bestimmten Sachen entweder aus Verlegenheit sagt: Ja, ja, kommt mir bekannt vor, oder man auch wirklich manchmal vielleicht denkt: Ja, doch, das ist mir doch irgendwie geläufig oder muss mir doch geläufig sein. Also das klappt auch bei anderen Themen, ja. Ja, also solche Experimente haben sie zum Beispiel auch wieder zum Thema Finanzen gemacht, mit dem gleichen Ergebnis. Also nach einer Einführung in das Thema haben die Versuchspersonen dann eher behauptet, dass sie von nicht existierenden Begriffen schon mal gehört hätten. Und sie haben sogar gesagt, dass sie dazu auch Fragen beantworten könnten. Also sie waren sich da dann schon teilweise sicher. Und wie erklärt sich Dunning denn das? Ja, er sagt, dass man schon eben nach einer kurzen Einführung und schon nach ein paar Infos erste Schemata entwickelt von einer Sache. Und mit dem wenigen was man dann weiß, wäre man dann schon in der Lage, erste Hypothesen zu entwickeln, auch wenn die falsch sind und eben dann auch zu nicht existierenden Begriffen. Weil man einfach meint, man könnte mit dem bisschen Wissen schon irgendwie alles interpretieren. Und so eine Wissensillusion, die kann man auch noch anders provozieren. Also nicht einfach nur durch eine tatsächliche Einführung, sondern indem man den Leuten auf andere Weise vorgaukelt, dass sie sich ein bisschen auskennen. Nämlich indem man erst viele super leichte Fragen stellt, sodass die Leute das Gefühl bekommen, dass sie sich auskennen. Und man könnte jetzt natürlich meinen, wenn man Experte wäre, dann passiert das nicht. Aber tatsächlich schützt auch Expertise nur teils. Und das hat auch wieder Dunning natürlich in einem Experiment gezeigt, wieder mit Investmentprofis und Laien. Und er hat da gesehen, Experten lagen zwar häufiger richtig als Laien und insgesamt neigten die auch weniger zu Selbstüberschätzung als Laien. Das kennen wir ja schon. Aber nur deshalb, also dieser Effekt kam nur dadurch zustande, der Unterschied, dass sie sich zu Recht sicherer waren in dem was sie tatsächlich wussten. Aber so war es nicht bei den Sachen, die sie dann tatsächlich nicht wussten. Also wenn sie unsicher waren und Fehler machten, dann war ihnen das oft eben auch nicht klarer als jetzt Laien. Und da haben sie sich praktisch genauso überschätzt. Und was mich interessieren würde, also jetzt weiß man um diesen Effekt und ich kann es auch sagen: Ich weiß es dann für mich. Aber das hilft mir anscheinend nicht dabei, das dann zu vermeiden oder auszuschließen, dass ich danach irgendwie fungiere. Was meint denn Dunning eigentlich dazu? Also kann uns dieses Wissen um diesen Effekt helfen, ihn zu vermeiden? Also Dunning sagt, dass das nicht funktioniert und nur andere könnten von außen erkennen, wo wir uns überschätzen. Aber ehrlich gesagt, mir scheint das so ein bisschen pessimistisch. Weil klar, also wenn ich jetzt meine, gegen den Dunning Kruger-Effekt komplett immun zu sein, dann hilft es natürlich auch nichts, wenn ich von ihm weiß, weil ich ja denke, passiert mir eh nicht. Aber ja, wenn ich es jetzt doch vielleicht für möglich halte, dass ich Fehler mache und mich selbst überschätze und wenn ich es dann auch ertragen kann, mich damit zu beschäftigen, dann sollte es doch auch helfen, zu wissen, dass es so was gibt wie jetzt die Beginners Bubble und Overclaiming. Also, wenn ich etwas Neues lerne, zum Beispiel, wenn ich einen Führerschein machen will oder Chirurgin werden will, dann kann ich mich ja mit dem Wissen selbst dazu verpflichten, mich immer wieder zu prüfen und Feedback einzuholen. Und zwar eben über diesen Punkt hinaus, wo ich mir vielleicht schon einbilde, dass ich das gar nicht mehr nötig habe. Ja, also ein bisschen optimistischer Blick wäre dir recht, auf jeden Fall auf diese ganze Nummer. Es ist ja auch so, habe ich jetzt in der Vorbereitung gesehen, dass es durchaus mittlerweile auch Kritik gibt an diesem Effekt. Ja, darüber hat auch unser Autor Sebastian Procksch mit mehreren Fachleuten gesprochen. Eine Kritik lautet da zum Beispiel, dass man den Effekt einfach durch zwei Phänomene erklären könnte, und zwar erstens den Better than Average-Effekt. Das ist die allgemeine Tendenz, sich in den meisten Bereichen für überdurchschnittlich toll zu halten. Ein Paradebeispiel ist Autofahren. Da glauben ja die meisten, sie wären überdurchschnittlich gut. Und das ist rein statistisch schon mal nicht möglich. Und das zweite Phänomen, das ist die sogenannte Regression zur Mitte. Das ist ein Gesetz der Statistik. Und zwar, wenn man eine Messung wiederholt, dann ist der zweite Wert im Schnitt eher weniger extrem als der erste. Und das kann man offenbar auf Testwerte und die Schätzung dieser Testwerte übertragen. Leider verstehe ich nicht so richtig, warum. Also, falls uns Statistiker mit Schreibtalent zuhören, schreibt uns mal gerne, warum das so ist. Aber zurück zum Thema. Also einige Wissenschaftler, auch Dunning, sagen, dass auch wenn man jetzt beides berücksichtigt, die Regression zur Mitte und den Better-than-Average-Effekt, dann würde man trotzdem immer noch dieses typische Dunning-Kruger-Muster sehen in den Daten. Es gibt trotzdem aber auch noch weitere Versuche, Dunning-Kruger zu widerlegen, zum Beispiel wegen der Aufteilung in vier Gruppen, die sie in der Originalstudie gemacht haben und die auch viele Folgestudien wiederholt haben. Diese Aufteilung in vier Gruppen, das ist ja eine sehr grobe Einteilung. Und man verliert damit jede Menge Informationen, also jede Menge Varianz, würden Psychologen sagen. Und deswegen haben Forschende auch versucht, die Selbsteinschätzung mal anders zu verrechnen. Gabriela Hofer von der Uni Graz hat zum Beispiel untersucht, wie eng wahre Intelligenz und selbsteingeschätzte Intelligenz zusammenhängen. Und zwar einmal, indem sie dann auch Gruppen gebildet hat, wie das Dunning-Kruger gemacht hat, und einmal, wo sie die Gruppen eben nicht gebildet hat, sondern die komplette Varianz erhalten geblieben ist. Und auf diese Weise, mit dieser präziseren Auswertungsmethode, hat sie dann festgestellt, dass man den Dunning-Kruger-Effekt zwar für verbale Intelligenz belegen kann, aber nicht für räumliche und numerische Intelligenz und auch nicht für kreatives Denken. Okay, und das heißt, hat dieser Effekt denn jetzt ausgedient? Nee, auf keinen Fall. Also wann und warum sich Leute überschätzen, sind Anfänger, Fortgeschrittene, Experten – das ist bislang einfach noch nicht abschließend geklärt, würde ich sagen. Also, man bräuchte endlich einen sehr umfassenden, systematischen Versuchsaufbau, der alle Kritikpunkte berücksichtigt, der Kompetenzen und Selbsteinschätzungen auf verschiedene Weise erfasst und für viele verschiedene Kompetenzbereiche sowie auch viele mögliche Einflüsse gleichzeitig miterhebt, wie zum Beispiel eben die Relevanz der Kompetenzen für die Person und auch viele Persönlichkeitsmerkmale. Aber auch jetzt schon finde ich, sind die Befunde zum Thema Selbstüberschätzung immer noch super interessant, bei aller Kritik. Denn wenn man sich selbst und andere besser verstehen will, dann bekommt man damit ja vor Augen geführt, wie leicht es ist, sich selbst etwas vorzumachen. Und die Befunde zeigen ja auch außerdem, wann man besonders aufpassen muss, weil Halbwissen eben ziemlich trügerisch sein kann. Absolut. Und für mich bleibt dann auch abschließend so ein bisschen eigentlich die Frage: Was kann man denn tun oder was könnte vielleicht dann auch helfen, so mit Selbstüberschätzung und solchen Fehleinschätzungen dann auch vielleicht besser umzugehen? Ja, also ich würde sagen, mehr darüber zu wissen, hilft vielleicht schon ein bisschen, wenn man dafür offen ist, aber wahrscheinlich auch nur teils. Das hat Dunning ja auch durchaus belegt. Und außerdem, man kann ja auch nicht einfach so über Nacht zum Experten werden in jedem Gebiet. Und seine Empfehlung ist, bei wichtigen Fragen innezuhalten und sich selbst zu überprüfen. Und das kann im Beruf sein, aber auch im Privaten. Und das könnte zum Beispiel so aussehen, dass man sich dann ein Worst-Case-Szenario überlegt, also wie etwas so richtig fürchterlich schiefgehen kann, maximal schiefgehen kann. Und dann sollte man überlegen, woran könnte das denn jetzt gelegen haben? Also man überlegt sozusagen sich ein Szenario für die Zukunft, wo alles schiefgeht, und überlegt dann, wie das dazu kommen könnte. Und wenn unter den möglichen Ursachen dann keine eigenen Fehler auftauchen oder die vielleicht auch stark unterrepräsentiert sind, dann ist man wahrscheinlich sich selbst gegenüber nicht kritisch genug. Und dann gibt es eben durchaus gute Gründe, sich noch weiter und intensiver zu hinterfragen. Man könnte aber auch jemandem die Rolle des Devil’s Advocate geben, also des Advokaten des Teufels. Und zwar am besten wechselnden Personen, damit sich nicht nur eine immer unbeliebt machen muss, also wenn man das jetzt im Unternehmen und in Teams umsetzt. Und diese Personen sollten dann wirklich alles hinterfragen. Und die Grundidee dabei ist letztlich immer, verschiedene und vor allem auch unerwünschte Meinungen einzuholen aus ganz verschiedenen Perspektiven. Also am Ende kommt dann allerdings noch die schwierigste Aufgabe, nämlich aus all diesen Meinungen, die man dann gehört hat, sollte man natürlich nicht genau diejenige raussuchen, die sowieso schon mit der eigenen Meinung übereinstimmt. Über das Thema haben wir übrigens auch schon mal gesprochen. Vielleicht erinnerst du dich, da ging es darum, wie man guten Rat gibt und guten Rat findet. Die Botschaft damals war auch, dass man nicht nur die Leute um Rat fragen sollte, die einem ähnlich und sympathisch sind, sondern auch die, die völlig anders ticken. Ja, absolut. So ein kleiner Anwalt des Teufels tut jeder Freundschaft gut und auch jedem Unternehmen wahrscheinlich, wenn jemand mal ab und zu auch die kritischen Fragen stellt. Und ja, wir haben es ja gehört, oder ihr habt es vielleicht auch gemerkt während dieser Folge, so Teile vom Dunning-Kruger-Effekt. Wenn man offen ist für seine eigenen Befindlichkeiten, hat man wahrscheinlich bei sich schon mal irgendwann irgendwo entdeckt. Und deshalb ist das auch so interessante Forschung, weil sie uns eben alle irgendwie auch betrifft. Und wenn ihr das nochmal nachlesen wollt, könnt ihr das tun auf spektrum.de. Da findet ihr sowohl das Interview mit David Dunning als auch den Artikel, der die möglichen Ursachen des Dunning-Kruger-Effekts kritisch beleuchtet. Und auch in der neuen Ausgabe von Gehirn und Geist, dem Magazin für Psychologie und Hirnforschung von Spektrum der Wissenschaft. Da könnt ihr auch zu diesem Thema lesen. Das bekommt ihr im Zeitschriftenhandel und auch online, wie gehabt, auf spektrum.de zu kaufen. Große Empfehlung an der Stelle und großes Danke an der Stelle an dich, Christiane. Vielen Dank fürs Erklären. Danke dir. Und auch euch vielen, vielen Dank, dass ihr zugehört habt bei dieser Ausgabe des Spektrum-Podcasts und dafür, dass ihr den Podcast abonniert, kommentiert und fleißig teilt. Das hilft uns sehr. Eine neue Folge kommt dann wie immer kommenden Freitag. Mein Name ist Max Zimmer und ich sage Tschüss und macht’s gut. Spektrum der Wissenschaft, der Podcast von detektor.fm.