Vor dem Sturm war die Stille: Nan Goldin hat ihre Retrospektive „This Will Not End Well“ in der Berliner Neuen Nationalgalerie Ende November mit Schweigen eröffnet. Vier Minuten für die Toten. Die Eskalation kam danach, beschreibt Saskia Trebing den Abend der Eröffnung: „Alle haben eigentlich darauf gewartet, dass jetzt eine Eskalation passiert.“ Und so war es dann auch. Dass sie diese Bühne nutzen würde, um ihre Position zum Krieg in Nahost zu nutzen, war abzusehen.
So hat sie Aktivismus für Aids-Opfer gemacht und gegen den Pharmakonzern Purdue Pharma und die Sackler Familie gekämpft, die für die Opiod-Krise in den USA verantwortlich gemacht werden. Dass sie in Berlin offen sprechen konnte, kam einem Test gleich. Denn seit der umstrittenen Antisemitismus-Resolution des Bundestages, die zwar juristisch nicht bindend, aber einen hohen moralischen Druck ausübt, gab es Ausstellungsabsagen und Canceling. Klaus Biesenbach, Direktor der Neuen Nationalgalerie entschied sich hingegen dafür, Raum für Auseinandersetzung zu geben. „Das, was Biesenbach gemacht hat, wäre mit der Resolution nicht konform“, sagt Elke Buhr, „auf der anderen Seite verlangt es die Kunstfreiheit und die Meinungsfreiheit, dass sie das darf.“ Die Haltung ist also: Nan Goldin darf in einer deutschen Institution über ihre Haltung sprechen, selbst wenn die Institution diese nicht teilt, wie aus einem entsprechenden Pressestatement hervorgeht.
Raum für Dialog
Kurz nach der Eröffnung fand außerdem ein Symposium zum Thema statt. Auch das sorgte im Vorfeld für Aufsehen. Nicht nur, dass Nan Goldin nicht daran teilnehmen wollte, außerdem gab es erst Zusagen und dann wieder Absagen. Wie etwa die der jüdischen Künstlerin Candice Breitz oder des israelischen Architekt und Gründer von Forensic Architecture Eyal Weizman. „Keiner dreht durch“, das war das Motto der Veranstaltung, beschreibt es Elke Buhr, die ein Panel moderiert hat, „alle haben sich demonstrativ ausreden lassen.“ Organisiert wurde das Symposium von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel, die am Abend vorher alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Panels zum Essen eingeladen hatte. So konnten sich alle schon einmal persönlich kennenlernen.
Ein politisches Gesamtwerk
Was in der Debatte um die Eröffnung unterging, ist die Kunst selbst, die bis kommenden April in der Neuen Nationalgalerie zu sehen sein wird. Die Retrospektive „This Will Not End Well“ war zuvor schon in Stockholm und in Amsterdam gezeigt worden. In Berlin können Besucherinnen und Besucher in kleinen abgedunkelten Kabinen Nan Goldins Diashows betrachten. Sie zeigen auf subtile und sensible Art Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen: queere Menschen, Drogenabhängige, Sexarbeiterinnen und -arbeiter, HIV-Positive.
Nan Goldins Ausstellungseröffnung in der Neuen Nationalgalerie hat für viel Diskussion gesorgt. Welche Folgen das für die Kunstszene hat und was es dort eigentlich zu sehen gibt, darüber sprechen in dieser Folge von „Kunst und Leben“, dem Podcast in Kooperation mit dem Monopol-Magazin, detektor.fm-Moderatorin Aileen Wrozyna und Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr und Redakteurin Saskia Trebing. Die Retrospektive „This Will Not End Well“ läuft noch bis zum 6. April 2025.