„Wenn wir Songs schreiben und feststellen, dass sich etwas zu vertraut anhört, verwerfen wir es und machen weiter“, sagt Calexico-Sänger Joey Burns. Denn kreativer Stillstand ist für die Band aus Arizona noch nie eine Option gewesen. Für die Aufnahmen zu ihrem neuen Album The Thread That Keeps Us haben sie sich von der Küste Nordkaliforniens inspirieren lassen. Das Panoramic House, ein zum Aufnahmestudio umgebautes Wohnhaus, bot dafür ideale Bedingungen, erzählt Drummer John Convertino. Neben einer großen Sammlung an Instrumenten, war vor allem die Aussicht grandios.
Das Panoramic House wurde aus Treibholz und alten Schiffsteilen gebaut. Es gibt kleine Bullaugenfenster und geteertes Holz, sehr dicke Wände und hohe Decken. Ich konnte von meinem Platz am Schlagzeug durch ein großes Fenster direkt auf die Küste schauen. Ich hab den Nebel heraufziehen sehen und manchmal ist auch ein Reh vorbeigelaufen. Das war großartig.
Teddy Roosevelt hat’s gewusst
Die Liebe zur Natur prägt die Musik von Calexico schon lange. Ihren erdigen und gleichzeitig weitläufigen Songs atmen die lichtdurchflutete Wüste Arizonas, die hitzigen Sümpfe Louisianas oder eben die windige Küste Kaliforniens. Dass man diese Schätze erhalten sollte, hat schon der ehemalige Präsident Teddy Roosevelt erkannt.
Teddy Roosevelt hat Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Nationalparks gegründet. Der Schriftsteller John Muir hat ihm geholfen, deshalb wird er in dem Song „Girl In The Forest“ erwähnt. Roosevelt war ein Konservativer, ein Republikaner. Aber er hat erkannt, dass man diese Gebiete unter Schutz stellen sollte. Und jetzt haben wir einen Präsidenten der meint, dass die Parks nicht so groß sein müssen und man doch hier oder dort nach Öl bohren könnte.
Stilistisch vielfältig, besinnt sich die Band auf The Thread That Keeps Us doch hörbar ihrer Indierock-Wurzeln. Ungestümen Noise-Parts räumen sie deutlich mehr Platz ein, als auf den letzten Alben. Da werden kantige Gitarren beherzt durch den Verzerrer gejagt, John Convertino tauscht die charakteristischen Besen auch mal gegen normale Drumsticks, ein Synthesizer ertönt unheilvoll im Hintergrund.
Das Soundchaos spiegelt auch das innere Chaos wider, mit dem sich Burns und Convertino nach der letzten Präsidentschaftswahl konfrontiert sahen. Aber plakative Protestsongs sind nicht ihre Sache. Stattdessen weben sie Themen wie Umweltzerstörung und Vetreibung in kurze Geschichten ein, die von Kleinstadtschönheiten, Naturgeistern oder einem niederträchtigen Fiesling erzählen. Wie etwa in Dead In The Water, einem harschen Bluesrock-Stück, das man so noch nicht von Calexico gehört hat. Aber die aktuellen Umstände erforderten eben besondere Maßnahmen, erzählt Joey Burns.
Die Idee zu „Dead In The Water“ hatte ich kurz bevor ich nach Kalifornien geflogen bin. Ich wollte einen fiesen Antihelden, der gierig und korrupt ist. Der Song hat mir geholfen, meinen Ärger und Frust über die aktuelle Regierung rauszulassen. Ich habe alle negativen Emotionen dort reingepackt, den Verzerrer aufgedreht und sogar eine Oktave tiefer gesungen, als sonst.
Licht und Dunkel
Den oftmals eher düsteren Texten stehen neben lauten Gitarren aber auch groovende Cumbiarhythmen oder eine zarte Mandolinenmelodie gegenüber. Dieser Gegensatz zwischen Licht und Dunkelheit, Hoffnung und Furcht durchzieht das ganze Album. Es ist das Stimmungsbild einer zerrissenen Zeit. Aber deprimiert den Kopf hängenlassen, wäre die völlig falsche Reaktion, meint Joey Burns.
Nach der Wahl, Anfang des vergangenen Jahres, waren wir ziemlich niedergeschlagen. Wir haben uns gefragt: Was sollen wir jetzt tun? Aber die Antwort lag auf der Hand. Also haben wir losgelegt und neue Songs geschrieben. Wir wollen der Welt etwas Positives und Hoffnungsvolles geben.
Das ist ihnen mit The Thread That Keeps Us in jedem Fall gelungen. Das Album ist abwechslungsreich und hält auch für Kenner der Band einige Überraschungen bereit. Nach über 20 Jahren klingen Calexico immer noch frisch und dynamisch und vereinen scheinbar mühelos ihre Erfahrung und die Lust an Neuem in großartigen Songs.