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Album der Woche: Sharon van Etten – Are We There

Extremsport Selbstheilung

Seit ihrem ersten Album betreibt Sharon van Etten eine Art Extremsport, was die musikalische Selbstheilung angeht. Ihr neues, viertes Album scheint nun aber ein Wendepunkt zu sein, auch wenn im Titel „Are we there“ noch immer ein kleines Fragezeichen mitschwingt. Wir haben mit Sharon van Etten gesprochen.

Ihre bisherigen Alben dienten eher der Vergangenheitsbewältigung – mit Are we there ist Sharon van Etten im Jetzt angekommen. Und das allem Anschein nach in einer sehr viel positiveren persönlichen Lebenssituation. Sonnige Popsongs sollte man zwar nach wie vor nicht von ihr erwarten, aber zumindest klingen viele der Texte auf dem neuen, mittlerweile vierten Album ein ganzes Stück optimistischer, sagt van Etten.

Ich bin älter geworden und nicht mehr so verbittert. Ich bin auch weniger traurig und sehr viel selbstbewusster. Ich weiß wer ich bin und es ist mir nicht mehr so wichtig, was andere Leute denken.

Musikalische Abnabelung

Songs wie der Album-Opener Afraid of nothing oder das Stück Taking chance spiegeln das neue Selbstbewusstsein, das Sharon van Etten jetzt an den Tag legt. Ganz praktisch findet es sich in der Tatsache wieder, dass die Musikerin das Album unbedingt selbst produzieren wollte – eine Geste der Emanzipation, nachdem sie 2012 für Tramp illustre Unterstützung von Aaron Dessner von The National als Produzent und einigen Bandmitgliedern als Studiomusikern hatte. Im Nachhinein hat Van Etten das allerdings nicht nur als positiv erlebt.

Nach „Tramp“ haben mich alle immer nur nach The National gefragt und nicht nach meinen Songs. Es hat gereicht, dass ich sehr unsicher wurde, was meine Musik anging. Ich hatte das Geüfhl, die Songs waren davon überschattet, wer alles auf der Platte mitgespielt hat. Letztlich war das trotzdem eine gute Erfahrung, weil ich mir danach beweisen wollte, dass ich die nächste Platte selbst produzieren kann.

Die neue Platte ist also gewissermaßen das Produkt eines Abnabelungsprozesses. Sharon van Etten hat diesmal alle Songs zusammen mit ihrer eigenen Tourband eingespielt. Da die meisten dieser Musiker in anderen Projekten selbst Songs schreiben und trotzdem sehr vertraut mit van Ettens Arbeitsprozess sind, hatte sie immer das beruhigende Gefühl, nicht immer alles erklären zu müssen.

Songwriting als Therapiemaßnahme

Was sich nicht geändert hat, ist die Tatsache, dass das Songschreiben für Sharon van Etten immer auch einen therapeutischen Effekt hat. Wenn es ihr schlecht geht, lässt sie ihre negativen Emotionen immer erst einmal ganz ungefiltert raus – und nimmt alles auf, was in dem Moment aus ihr heraus will.

Immer wenn es mir schlecht geht, drücke ich einfach den Aufnahmeknopf auf meinem Telefon oder meinem Aufnahmegerät und lasse das für 15 Minuten oder eine halbe Stunde laufen. Dann lasse ich alles raus – und höre mir das dann ein paar Tage erstmal nicht mehr an. Wenn ich ein bisschen mehr Distanz habe, hole ich das wieder vor und versuche herauszuhören, was ich eigentlich sagen wollte.

Aus diesem – auch im übertragenen Sinn – „Roh“-Material entstehen dann zum Beispiel ihre Texte. Manchmal schaffen es fünf Zeilen in einen Song, manchmal eine Idee, die neben dem persönlichen Erlebnis auch eine universelle Erfahrung beschreibt, die auch andere Menschen ansprechen könnte.

Die Schönheit schmerzhafter Momente

Van Etten ist sich sehr bewusst, dass ihre Songs stellenweise harte Kost sind für Zuhörer. Immerhin spricht – und singt – sie mit fast brutaler Offenheit über Verletzungen aus einer früheren Beziehung und ihre schlimmsten emotionalen Tiefs. Am Anfang ihrer Karriere als Musikerin war es ihr noch unangenehm, derart private Dinge auf die Bühne zu bringen. Aber die Reaktionen des Publikums haben sie ermutigt, weiterzumachen.

Ich habe eigentlich immer eher für mich selbst geschrieben. Ich wusste, dass mir das gut tut, aber ich hätte nie gedacht, dass das anderen auch so gehen könnte. Es ist doch eigentlich krass, jemandem all diese heftigen Songs zuzumuten – als würde man sich auf die Bühne stellen und anfagen, sein Tagebuch vorzusingen. Es hat sich immer ein bisschen egoistisch angefühlt, bis die Leute mir gesagt haben, wie sehr es sie emotional anspricht.

Auch wenn Are we there weniger als die vorherigen Platten in die Vergangenheit blickt, bleibt doch immer noch eine Restmelancholie, die in allen Songs mitschwingt. Schließlich haben auch schmerzhafte Momente ihre eigene Schönheit, sagt Sharon van Etten. Und genau diese fängt sie ein – für sich selbst genauso wie für alle, die ihre Musik hören.

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