Als Trump gewählt wurde, war Sharon van Etten gerade mit ihrem Sohn schwanger. Einerseits war ihr zum Heulen zumute, aber sie wollte nicht, dass ihr ungeborenes Kind davon beeinflusst wird. Die Welt da draußen war im Aufruhr, aber ihr Privatleben verlief zum ersten Mal seit langem in ruhigen Bahnen. Eine glückliche Beziehung, ein Kind, beruflicher Erfolg – eigentlich alles wunderbar. Aber eben nicht alles. Und dieser Widerspruch spiegelt sich auch auf ihrem neuen Album Remind Me Tomorrow wider.
Eigentlich wollte ich keine positive Platte machen, denn die Welt sieht gerade ganz anders aus. Aber ich wollte auch nicht, dass sich die Leute Sorgen machen, denn es geht mir wirklich sehr gut. Ich bin glücklich und kann all die Dinge tun, die ich schon immer machen wollte. Das spiegelt sich in den Texten. Aber musikalisch ist das Album düster und intensiv, ich wollte die beiden Seiten vereinen.
40 Demos mit Jupiter 4
Die Songs sind entstanden, als sie gerade Filmmusik geschrieben hat und sich einen Proberaum mit dem Schauspieler und Musiker Michael Cera teilte. Dort stand der Synthesizer Jupiter 4 herum und van Etten begann, damit zu experimentieren. Am Ende hatte sie ungefähr 40 Demos, von denen sie zehn mit ihrer Band und Produzent John Congleton im Studio aufnahm.
Ich habe zum ersten Mal die Kontrolle über die Produktion komplett abgegeben und meine Songs dem Produzenten anvertraut. Dadurch konnte ich einfach nur Sängerin sein. Es war faszinierend zu beobachten, wie sich die Songs entwickelt haben. Die Band hat live gespielt während ich gesungen habe. Wir wurden alle total vom Moment und der Musik mitgerissen. Das hat mir sehr geholfen und hat mich auch als Sängerin weitergebracht.
Düstere Synthies, die eine unruhige, mitunter verstörende Atmosphäre verbreiten, aggressive Sounds, ein schweres synkopiertes Schlagzeug. Dazu singt van Etten mal heißer, mal voller Selbstbewusstsein von dem verwirrenden Gefühl, den richtigen Partner gefunden zu haben wie in Jupiter 4 oder spricht zu ihrem siebzehnjährigen Selbst wie in Seventeen.
Als ich nach New York gezogen bin, hat mir ein Freund das Viertel gezeigt, in dem er fand, dass ich wohnen sollte. Ich konnte mir das damals nicht leisten. Er sagte, dass es sich ziemlich schnell verändern würde, aber man sollte das nicht zu negativ sehen. Vor einer Weile hat mein Lieblingsclub geschlossen. Einerseits ist Veränderung gut, aber wenn ich darüber nachdenke, werde ich nostalgisch. Und manchmal erwische ich mich dabei, wie ich die jungen Leute, die heute dort wohnen, verurteile. Aber ich war ja auch mal eine von ihnen. Der Song richtet sich an mein jüngeres Ich, aber auch an andere.
Eine gute Beobachterin
In den vergangenen Jahren hat Sharon van Etten auch ein Psychologie-Studium absolviert. Denn eines Tages will sie sich mit einer eigenen Praxis selbständig machen. Eine gute Zuhörerin und Beobachterin ist sie ja schon lange und auf Remind Me Tomorrow zeigt sie einmal mehr, wie man das in großartige Songs umsetzt.