Play
Pussy Riot
Foto: Miguel Schincariol

Keine Angst vor Hits | Bonus: Pussy Riot im Interview

„We need to believe“

Vor zehn Jahren wurden Pussy Riot mit ihrem „Punk Prayer“ in der Moskauer Christ-Erlöser Kathedrale bekannt. Heute scheint die Kritik der Punk-Aktivistinnen am Putin-Regime aktueller denn je. Ein Gespräch mit Gründungsmitglied Diana Burkot über die russische Kulturszene in Zeiten des Ukraine-Kriegs, Musik als Mittel des Protests und eine Tour ohne absehbares Ende.

Im Februar 2012 stülpen sich vier Mitglieder des erst im Vorjahr gegründeten Kollektivs Pussy Riot bunte Balaklavas über und stürmen mitsamt E-Gitarre und Verstärker den Altarraum der orthodoxen Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Ihr Auftritt dauert nur 41 Sekunden, aber macht sie weltweit bekannt. Nicht nur, weil ihr „Punk Prayer“ laut gegen den russischen Patriarchen Kyrill I. und Wladimir Putin wettert, sondern auch, weil drei der vier Performerinnen im Anschluss verhaftet wurden. Wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“ lautet das Urteil zwei Jahre Straflager für Nadeschda Tolokonnikowa – genannt Nadya, Maria Aljochina – genannt Masha und Jekaterina Samuzewitsch – kurz Katia, die auf Bewährung wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Der vierten Performerin Diana Burkot gelingt es anonym zu bleiben.

Für mich war vor allem das erste Jahr sehr schlimm. Ich habe eine schreckliche Paranoia entwickelt. Katia und ich haben viel gesprochen und uns gegenseitig unterstützt. 

Diana Burkot von Pussy Riot (Foto: Adam Berry)

Diana Burkot von Pussy Riot (Foto: Adam Berry)

Im Ausland aktiv sein

Das drastische Urteil gegen die Pussy Riot-Aktivistinnen, das vor zehn Jahren weltweit für Empörung und Kritik sorgte, scheint heute wenig überraschend: Seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 hat die Gewalt des autoritären Regimes von Putin nochmal rapide zugenommen. Im Juli wurde ein Gesetz verabschiedet, dass Kritik am Krieg gegen die Ukraine unmöglich macht ohne im Gefängnis oder Straflager zu landen. Der Aktivismus von Pussy Riot gegen die russische Politik scheint aktueller denn je. In Russland selbst kann die Gruppe mittlerweile aber kaum noch aktiv sein, erklärt Burkot.

Im Moment ist es unmöglich als Pussy Riot in Russland aktiv zu sein. Wenn wir in Russland bleiben, wandern wir direkt ins Gefängnis. Wir haben deswegen beschlossen, dass es nicht sinnvoll ist, unnütz fest zu sitzen und selbst auf Hilfe angewiesen zu sein. Wir haben Russland verlassen, um von außen etwas gegen diesen Krieg unternehmen zu können.

Anti-Kriegs-Tour

In den vergangenen Jahren sorgten Pussy Riot immer wieder für Schlagzeilen, z.B. als einige Mitglieder beim Fußball-WM-Finale in Moskau 2018 übers Spielfeld rannten oder zu Putins Geburtstag im Jahr 2020 Regierungsgebäude mit Regenbogenflaggen dekorierten. Seit Mai 2022 sind Masha Aljochina und Diana Burkot gemeinsam mit Olga Borisova mit einem klaren Ziel auf Europa-Tour: Ein Teil der Einnahmen wird direkt an Krankenhäuser in der Ukraine gespendet. Bei ihren Auftritten fordern sie ein konsequentes Embargo des Westens gegenüber Russland. Eigentlich ist die „Riot Days“-Tour aber eine Art Musical Performance, mit der Pussy Riot auch schon 2019 auf Tour waren. In einer Mischung aus Videokunst und Konzert performen drei Mitglieder und wechselnde Gäste auf der Bühne Songs, die man von Pussy-Riot-Aktionen oder ihrem Youtube-Account kennt. Und sie erzählen die Geschichte des Kollektivs nach. Roter Faden ist nämlich das Buch „Riot Days“, das Masha 2017 veröffentlicht hat und in dem sie von ihren Erfahrungen als Gründungsmitglied von Pussy Riot und ihrer zweijährigen Haft erzählt. Für die Tour ist sie in einer filmreifen Aktion als Essenslieferantin verkleidet aus dem russischen Hausarrest geflohen. Was die drei Pussy Riot-Mitglieder zu solchen gefährlichen Manövern antreibt, beschreibt Diana Burkot:

Wir glauben an ein freies Russland. Wir wollen, dass Putin in Den Haag vor Gericht gestellt wird, denn er ist ein Terrorist. Alles wird gut werden. Wir müssen daran glauben.

NFTs und Matriachat

Mittlerweile haben Pussy Riot wesentlich mehr Anhänger:innen, als noch vor zehn Jahren, als sich das Kollektiv nur aus ca. zehn Mitgliedern zusammen setzte. Und sie engagieren sich vielseitig. Nadia Tolokonnikowa steht seit Anfang des Jahres auf der Liste der „ausländischen Agent*innen“ des russischen Justizministeriums und lebt mittlerweile in den USA. Dort engagiert sie sich seit der Aufhebung des Urteils Roe v. Wade durch den Obersten Gerichtshof auch für Abtreibungsrechte. Außerdem ist sie ins Krypto-Geschäft eingestiegen: Mit der von ihr gegründeten NFT-Plattform UkraineDAO wurden seit Februar über 7 Millionen Dollar für die Ukraine gesammelt. Und sie war treibende Kraft hinter dem ersten Pussy Riot Album: „Matriarchy Now“ wurde im August 2022 veröffentlicht und klingt weniger nach Old-School-Punk, sondern nach zeitgenössichem Hyperpop mit Trap- und HipHop-Einflüssen. Direkte Kreml-Kritik gibt es nicht, dafür werden feministische Rachefantasien in Songs wie „Hatefuck“ ausgelebt.

In dieser Bonus-Episode von Keine Angst vor Hits erfahrt ihr, wie Pussy Riot heute aufgestellt ist. Diana Burkot berichtet darüber wie sich die Lage für Künstlerinnen in Russland verschlechtert hat und wie sich die Aktivist:innen von Pussy Riot eine bessere Zukunft vorstellen. Eine Einschätzung über die aktuelle Lage für Künstler:innen in Russland hört ihr außerdem im Podcast „Zurück zum Thema“.

Volles Programm, (aber) null Banner-Werbung

Seit 2009 arbeiten wir bei detektor.fm an der digitalen Zukunft des Radios in Deutschland. Mit unserem Podcast-Radio wollen wir dir authentische Geschichten und hochwertige Inhalte bieten. Du möchtest unsere Themen ohne Banner entdecken? Dann melde dich einmalig an — eingeloggt bekommst du keine Banner-Werbung mehr angezeigt. Danke!

detektor.fm unterstützen

Weg mit der Banner-Werbung?

Als kostenlos zugängliches, unabhängiges Podcast-Radio brauchen wir eure Unterstützung! Die einfachste Form ist eine Anmeldung mit euer Mailadresse auf unserer Webseite. Eingeloggt blenden wir für euch die Bannerwerbung aus. Ihr helft uns schon mit der Anmeldung, das Podcast-Radio detektor.fm weiterzuentwickeln und noch besser zu werden.

Unterstützt uns, in dem ihr euch anmeldet!

Ja, ich will!

Ihr entscheidet!

Keine Lust auf Werbung und Tracking? Dann loggt euch einmalig mit eurer Mailadresse ein. Dann bekommt ihr unsere Inhalte ohne Bannerwerbung.

Einloggen